Politische Instabilität, soziale Spaltung und Klimakrise – was tun? Ein Gespräch mit der Grünen-Politikerin Barbara Neßler.
1. Welche konkreten Schritte werden Sie, in Anbetracht der anhaltenden Enttäuschung vieler Bürgerinnen und Bürger über die politische Arbeit in Österreich, unternehmen, um das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen und die Kommunikation zwischen Politik und Bürgern zu verbessern?
Als Politiker:innen ist es unsere Verantwortung, das Vertrauen der Bürger:innen in die politische Arbeit zu stärken und die Kommunikation zwischen Politik und Bürger:innen zu verbessern, insbesondere angesichts der anhaltenden Vertrauenskrise vieler Menschen in Österreich in die Politik. Ein konkreter Schritt ist dabei die Förderung der politischen Bildung. Viele Menschen haben wenig Verständnis dafür, wie die politische Arbeit wirklich funktioniert und was etwa Abgeordnete machen. Den Abstimmungen im Nationalrat gehen komplexe Verhandlungsprozesse, um Mehrheiten zu erreichen, voraus. Hier gilt es intensiv und hartnäckig für die Themen zu kämpfen, die einem wichtig sind.
Ein aktuelles Beispiel, das ich hier nennen kann, ist etwa das kürzlich präsentierte Kinderschutzpaket. Die Verhandlungen waren intensiv und haben gedauert, da wir unbedingt Maßnahmen im Paket haben wollten, die Kinder und Jugendliche bereits präventiv schützen, dafür gab es anfangs zwar keine Mehrheit, aber wir blieben hartnäckig und nun haben wir ein ordentliches und umfangreiches Paket auf den Tisch gebracht. Wir müssen besser aufklären und Transparenz schaffen, indem wir die Abläufe der politischen Arbeit erklären und zeigen, wie Abgeordnete und Parteien sich für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Wenn wir das authentisch Vermitteln können, stärkt das auch das Vertrauen, davon bin ich überzeugt.
2. Die politische Stabilität in Österreich hat in den letzten Jahren gelitten. Welche Maßnahmen sehen Sie als notwendig an, um langfristige Stabilität und Zusammenarbeit zwischen den politischen Parteien sicherzustellen?
Betrachtet man die unzähligen Korruptionsfälle der letzten Jahre, dann ist die Einschätzung, dass die politische Stabilität darunter gelitten hat durchaus berechtigt. Es ist wichtig, anzuerkennen, dass Korruptionsfälle Gift für das politische System sind. Es soll jedoch auch anerkannt werden, dass wir nicht alle so sind und dass die meisten Politiker:innen in Österreich ihre Arbeit ehrlich und zum Wohle des Landes ausüben. Wenn jedoch einige Politiker:innen prioritär nur die eigne Machterweiterung verfolgen oder sich so verhalten, als wäre der Staat ein Selbstbedienungsladen, müssen wir mit Antikorruptions- und Transparenzmaßnahmen umso entschiedener dagegenhalten.
Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass Korruptionsfälle aufgedeckt und bestraft werden und dass die Bürger*innen Vertrauen in die politischen Institutionen haben. So erschütternd die Korruptionsfälle der Vergangenheit auch waren, haben sie jedoch auch gezeigt, dass wir den Institutionen vertrauen können, die Verfehlungen ans Licht kommen und aufgearbeitet werden und die politische Stabilität trotz des einen oder anderen Wankens immer gegeben war und das stimmt mich positiv.
3. Der soziale Zusammenhalt und das Gefühl von Gemeinschaft sind für viele Menschen in Österreich geschwächt. Wie planen Sie, den sozialen Zusammenhalt zu fördern und die gesellschaftliche Spaltung, die durch politische Polarisierung entstanden ist, zu überwinden?
Um den sozialen Zusammenhalt in Österreich zu fördern und die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden, müssen wir uns auf gemeinsame Werte besinnen und eine offene und tolerante Gesellschaft fördern anstatt Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Nur eine solidarische Gesellschaft ist eine starke Gesellschaft, die Herausforderungen besser bewältigt und Krisen besser übersteht. Das Erstarken der rechtsextreme Szene ist demokratiepolitisch ein Problem, dem wir als Gesellschaft entschlossen und konsequent entgegenstehen und deutliche Grenzen ziehen müssen.
Auch rassistische Äußerungen, auch von Parteien, die sich mal christlich-sozial nannten, müssen klar verurteilt werden. Um den sozialen Zusammenhalt in Österreich zu fördern, ist es wichtig, dass wir den Dialog und Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen fördern, die bestmögliche Integration von Migrant:innen ermöglichen und uns für eine inklusive Gesellschaft einsetzen, in der jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung willkommen ist.
4. Die Klimakrise stellt eine große Herausforderung für Österreich dar. Wie beabsichtigen Sie, umweltfreundliche und nachhaltige Lösungen zu fördern, um den ökologischen Fußabdruck in Österreich zu verringern und den Klimaschutz-Zielen gerecht zu werden?
Die Klimakrise ist zweifellos die größte globale Herausforderung. Nur wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft für uns und kommende Generationen sichern. Es hilft dabei nicht, wenn andere Parteien nach wie vor den Blockade-Beton anrühren und den Fortschritt aufhalten. Wir müssen uns als Gesellschaft bewusst machen, dass es bei der Klimakrise um nichts Geringeres als unsere Lebensgrundlage geht. Viele junge Menschen gehen auf die Straße, um auf die Dringlichkeit des Problems aufmerksam zu machen.
Das Festkleben ist ein Hilfeschrei einer ganzen Generation, die sich von Verantwortungsträger:innen nicht gehört fühlt. Dem müssen wir als Politker:innen, aber auch als Gesellschaft mit dem Willen zu Veränderung und mit Lösungen begegnen. Wir konnten hier auch schon einiges weiterbringen und sind voll auf Kurs beim Ziel 100 % erneuerbarer Strom bis 2030, die ökosoziale Steuerreform wurde ebenso wie das Klimaticket umgesetzt, um nur einige Punkte zu nennen. Vieles ist in den vergangenen Jahren bereits gelungen, aber der Weg ist noch ein weiter. An den Veränderungen führt kein Weg mehr vorbei, je schneller das auch die Letzten verstanden haben, desto schneller können wir die ohnehin unausweichliche Wende schaffen.
5. Angesichts der wachsenden sozioökonomischen Ungleichheit in Österreich – welche politischen Strategien verfolgen Sie, um die Verteilung von Wohlstand und Chancen fairer zu gestalten und insbesondere benachteiligte Gruppen zu unterstützen?
Die wachsende sozioökonomische Ungleichheit in Österreich ist eine ernsthafte Herausforderung für unsere Gesellschaft und dagegen anzukämpfen ist auch ein Grund, warum ich in die Politik gegangen bin. Ich bin fest davon überzeugt, dass es in einer stabilen und gerechten Gesellschaft notwendig ist, die Verteilung von Wohlstand und Chancen fair zu gestalten und insbesondere benachteiligte Gruppen zu unterstützen. Als Kinder-, Jugend- und Familiensprecherin ist mir besonders der Kampf gegen die Kinderarmut ein Herzensanliegen – kein Kind in einem reichen Land wie Österreich soll in Armut aufwachsen müssen.
Armut wird bei uns vererbt, während wenige Kinder Millionen erben, sind es im Gegensatz Viele, die Schulden erben. Es wäre daher nur fair, wenn diejenigen, denen es ohnehin nicht wehtut, einen gerechten Beitrag leisten, um Kinderarmut zu bekämpfen. Der Weg muss dabei in Richtung einer Kindergrundsicherung gehen. Anstatt eines Fleckerlteppichs an Maßnahmen, die wie Almosen daherkommen, könnten wir damit Kinderarmut abschaffen. In Deutschland wird gerade an der Kindergrundsicherung gearbeitet und ich bin überzeugt, dass diese Herausforderung auch gelingen kann, wenn die politische Mehrheit und der Mut zur Systemänderung da ist. Bis dahin heißt es bei dem bestehenden System bestmöglich an den Stellschrauben zu drehen. Mit der jahrzehntelang geforderten und vergangenen Herbst umgesetzten Valorisierung der Familien- und Sozialleistungen sorgen wir nun dafür, dass diese regelmäßig an die Inflation angepasst werden. Die Leistungen steigen damit automatisch, wenn auch die Preise steigen und das gibt nachhaltig Sicherheit.
Foto: Peter Koren