Ein ABW-Interview mit einer der einflussreichsten Ökonominnen Österreichs über Strukturreformen, Gefahren für den Wohlstand und Hindernisse für weibliche Führungskräfte.
Als Direktorin von EcoAustria stehen Sie im Zentrum der wirtschaftspolitischen Forschung in Österreich. Welche Themen werden Ihrer Meinung nach die österreichische Wirtschaft im kommenden Jahr am stärksten prägen?
Wir werden auch im nächsten Jahr noch immer mit der schwachen Industrieentwicklung bzw. einer Industrierezession zu kämpfen haben. Das zweite große Thema ist die Einhaltung der Fiskalregeln. Für das Jahr 2024 wird ein Budgetdefizit von bis zu 3,7% des BIP prognostiziert und die Schuldenquote liegt über der 60%-Grenze, weshalb die EU-Kommission einen „Schuldenabbaupfad“ verordnet hat. Österreich muss seinen Primärsaldo in den kommenden Jahren kontinuierlich verbessern. Das bedeutet im Klartext, dass wir um umfangreiche Sparprogramme nicht herumkommen werden.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Chancen für eine nachhaltige und stabile Wirtschaftsentwicklung?
Neben der kurzfristigen Konjunkturschwäche machen dem Land strukturelle Probleme zu schaffen: die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität u.a. durch die hohe Steuer- und Abgabenlast, aber auch die demografische Entwicklung: Bis 2060 brauchen wir eine Nettozuwanderung von rund 40.000 Menschen pro Jahr, um die Erwerbsbevölkerung annähernd konstant zu halten, ansonsten würden wir um fast 1,5 Millionen Menschen „schrumpfen“. Wenn wir uns diesen großen Herausforderungen nicht stellen, laufen wir Gefahr, unseren Wohlstand nicht halten zu können. Die globale Konkurrenz schläft nicht und wird nicht warten, bis wir unsere Hausaufgaben gemacht haben.
Wie bewerten Sie die bisherigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft?
Der Schwerpunkt der Maßnahmen der letzten Jahre - beginnend mit Corona und der Energiekrise - lag in der kurzfristigen Unterstützung der Wirtschaft - etwa durch Subventionen und Beihilfen. Auch wenn es hier teilweise zu Umsetzungsproblemen kam, wie z.B. beim Energiekostenzuschuss II, der erst mit großer Verspätung eingeführt wurde, sind in den letzten 5 Jahren vor allem kaum große Strukturreformen gelungen.
Positiv zu vermerken sind die Einführung der CO2-Bepreisung und die Abschaffung der kalten Progression. Aber bei den Pensionskosten (außer Anpassungen nach oben!), der Bildungsqualität, der Gesundheitsversorgung, dem Föderalismus oder dem Arbeitsmarkt ist nicht viel passiert. Kurzfristig muss das Budget durch Sparpakete saniert werden. In weiterer Folge - aber so schnell wie möglich nach der Konstituierung der neuen Regierung - sollten die oben genannten Strukturreformen in Angriff genommen werden.
Als eine führende Frau in der Wirtschaftsforschung (und Grete Rehor-Preisträgerin) – was sind aus Ihrer Sicht die größten Hindernisse für Frauen in Führungspositionen?
Das sind zum einen strukturelle Probleme wie fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten und ein immer noch konservatives Rollenbild - da Frauen vergleichsweise erst seit kurzem in Führungspositionen vertreten sind, ist es noch nicht für alle selbstverständlich, dass sie dort genauso hingehören wie Männer. Als jüngere Frau in einer Expertenrunde wird man oft noch nicht so wahrgenommen, wie man es verdient. Ich wurde auch schon als Einzige ohne Titel angesprochen oder gar für eine Assistentin gehalten. Wir müssen immer noch um Anerkennung kämpfen.
Was hat Sie persönlich dazu motiviert, sich der wirtschaftspolitischen Forschung zu widmen? Was treibt Sie heute in Ihrer Arbeit an?
In Wirklichkeit war es die familiäre Situation. Ich hatte damals ein kleines Kind und stand vor der Wahl zwischen einer unsicheren akademischen Karriere, die mich zwangsläufig um die ganze Welt geführt hätte, oder einer sichereren Karriere in der wirtschaftspolitischen Beratung und angewandten Forschung.
Ich habe mich für die zweite Variante entschieden, die meiner Familie meiner Meinung nach besser gedient hat. Was ich heute tue, macht mir sehr viel Spaß - und es treibt mich auch an, in einigen Bereichen, die mir sehr am Herzen liegen, etwas zu bewegen - zum Beispiel beste Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft oder dem Bildungsstand ihrer Eltern. Aber ich bin auch immer noch in der rein akademischen Forschung aktiv und ehrlich gesagt sind stundenlange Datenanalysen und Programmiertasks am Abend immer noch meine Lieblingsbeschäftigung.
Zur Person
Die 39-jährige Ökonomin promovierte 2011 an der Universität Wien und war von 2011 bis 2015 Assistenzprofessorin am Lisbon University Institute. Anschließend war sie bei Agenda Austria als Senior Economist tätig und wurde Fellow der Global Labour Organisation. Darüber hinaus ist sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Rudolf Sallinger Fonds, des Klimarats der Bürgerinnen und Bürger, des Rats für Neue Arbeitswelten beim Bundesministerium für Arbeit, des Vorstands der Deutschen Handelskammer in Österreich, des Stiftungsrats der Erste Bank Stiftung und des Rats des Europäischen Forums Alpbach. Köppl-Turyna habilitierte sich im Sommer 2020 an der Johannes Kepler Universität Linz. Seit September 2023 lehrt sie zudem als Professorin an der Seeburg Universität in Seekirchen und seit April 2024 an der Universität Warschau. Im Ökonomen-Ranking 2021 von Presse/FAZ/NZZ belegt sie Rang 5 der einflussreichsten ÖkonomInnen in Österreich. 2023 wurde sie im Rahmen der Verleihung des „Österreichischen Frauenpreises“ mit dem Grete Rehor Preis in der Kategorie „Wirtschaft“ ausgezeichnet. Damit wurden die Forschungsleistungen der Ökonomin zu frauen- und familienpolitisch relevanten Themen sowie das Setzen gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Impulse im Bereich der Gleichstellung gewürdigt.
Foto: Weinwurm
The translated version for our international site visitors.
An ABW interview with one of Austria's most influential economists about structural reforms, threats to prosperity and obstacles for female leaders.
As the director of EcoAustria, you are at the center of economic policy research in Austria. What topics do you think will have the greatest impact on the Austrian economy in the coming year?
Next year, we will still be struggling with weak industrial development and an industrial recession, respectively. The second big issue is compliance with fiscal rules. A budget deficit of up to 3.7% of the GDP is forecast for 2024 and the debt ratio is above the 60% mark, which is why the EU Commission has prescribed a “debt reduction path”. Austria must continuously improve its primary balance in the coming years. This means that we will not be able to avoid extensive austerity programs.
Where do you see the greatest challenges and opportunities for sustainable and stable economic development?
In addition to the short-term economic downturn, the country is facing structural problems: declining competitiveness and attractiveness as a business location, due in part to the high tax and contribution burden, but also demographic change: by 2 060, we need a net immigration of around 40,000 people per year to keep the working population roughly constant; otherwise, we would “shrink” by almost 1.5 million people. If we do not face up to these major challenges, we run the risk of not being able to maintain our prosperity. Global competition never sleeps and will not wait until we have done our homework.
How do you assess the measures taken so far to stabilize the economy?
The focus of the measures taken in recent years – starting with the coronavirus and the energy crisis – has been on short-term support for the economy, for example through subsidies and aid. Even though there have been some implementation problems in some cases, such as the Energy Cost Subsidy II, which was introduced only after a long delay, there have been hardly any major structural reforms in the last five years.
Positive developments include the introduction of CO2 pricing and the abolition of the “cold progression” (a tax break for low-wage earners). But not much has happened in terms of pension costs (except for upward adjustments!), the quality of education, health care, federalism or the labor market. In the short term, the budget must be balanced through austerity packages. Subsequently – but as soon as possible after the new government has been formed – the structural reforms mentioned above should be tackled.
As a leading woman in economic research (and Grete Rehor Prize winner) – what do you see as the biggest obstacles for women in leadership positions?
On the one hand, there are structural problems such as a lack of childcare options and a conservative role model that still exists. Since women have only been in management positions for a relatively short time, it is not yet taken for granted by everyone that they belong there just as much as men. As a younger woman in a panel of experts, you are often not perceived as you deserve to be. I have been addressed as the only one without a title or even mistaken for an assistant. We still have to fight for recognition.
What motivated you personally to pursue economic policy research? What drives you in your work today?
In reality, it was the family situation. I had a small child at the time and was faced with the choice between an uncertain academic career that would inevitably have taken me around the world, or a more secure career in economic policy advice and applied research.
I chose the second option, which I believe served my family better. What I do today is something I really enjoy – and it also drives me to make a difference in some areas that are very close to my heart, such as providing the best educational opportunities for all children, regardless of their background or the educational attainment of their parents. But I am still active in purely academic research and, to be honest, hours of data analysis and programming tasks in the evening are still my favorite pastime.
About the person
The 39-year-old economist received her doctorate from the University of Vienna in 2011 and was an assistant professor at the Lisbon University Institute from 2011 to 2015. She then worked as a senior economist at Agenda Austria and became a fellow of the Global Labour Organisation. She is also a member of the scientific advisory boards of the Rudolf Sallinger Fund, the Citizens' Climate Council, the Council for New Working Environments at the Federal Ministry of Labour, the board of the German Chamber of Commerce in Austria, the foundation board of the Erste Bank Foundation and the council of the European Forum Alpbach. Köppl-Turyna habilitated at the Johannes Kepler University Linz in the summer of 2020. Since September 2023, she has also been teaching as a professor at the Seeburg University in Seekirchen and since April 2024 at the University of Warsaw. In the 2021 economist ranking by Presse/FAZ/NZZ, she ranks 5th among the most influential economists in Austria. In 2023, she was awarded the Grete Rehor Prize in the category “Economics” at the Austrian Women's Prize ceremony. This recognized the economist's research achievements on topics relevant to women's and family policy, as well as her work in setting social and scientific impulses in the field of gender equality.
Photo: Weinwurm