Mag. Sonja Brandtmayer, Stellvertreterin des Vorstandsvorsitzenden der Wiener Städtischen Versicherung, über private Vorsorge, individuellen Gesundheitsbedürfnisse und innovative KI-Lösungen.
Welche spezifischen Herausforderungen und Chancen sehen Sie aktuell für die Wiener Städtische und die gesamte Branche im Hinblick auf die sich verändernden Bedürfnisse und Erwartungen der Kundinnen und Kunden, insbesondere von Frauen in unterschiedlichen Lebensphasen?
Eine der größten Herausforderungen ist aktuell das stark belastete staatliche Pensionssystem. Dieses ist zwar immer noch eines der besten weltweit, doch eine steigende Lebenserwartung sowie sinkende Geburtenraten setzen es immer stärker unter Druck. Schon heute braucht es jeden vierten Steuer-Euro, um das gesetzliche Pensionssystem zu stützen.
Experten sind sich daher seit langem einig: Die staatliche Pension allein wird in Zukunft kaum ausreichen, um den gewohnten Lebensstandard zu sichern. Deshalb ist es wichtig möglichst frühzeitig selbst aktiv zu werden und privat vorzusorgen. Damit gewinnt die private Altersvorsorge immer mehr an Bedeutung. Sie dient als Ergänzung zur staatlichen Pension und hilft dabei, Altersarmut zu vermeiden.
Speziell Frauen haben aufgrund verschiedener Rahmenbedingungen oftmals einen noch größeren Vorsorgebedarf abzudecken als Männer. Man denke beispielsweise daran, dass Frauen nicht nur aufgrund von Karenzzeiten weniger Pensionsbeiträge ansammeln, sondern im Schnitt auch früher in Pension gehen und dazu noch eine höhere Lebenserwartung haben als Männer. Das heißt, dass ihr Geldbedarf im Alter entsprechend höher ist. Dazu kommt der Gender-Pay-Gap, der bewirkt, dass Frauen für dieselbe Arbeit oft immer noch weniger verdienen als Männer, was große Auswirkungen auf die Höhe ihrer Pensionen hat.
Des Weiteren wird der Anteil der so genannten geringfügig beschäftigten Frauen immer größer. Und aus einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis besteht kein Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialsystem – das heißt natürlich auch kein Anspruch auf eine eigene Pension. Zudem fällt der Lohn bei geringfügig Beschäftigten deutlich geringer aus und macht es zusätzlich schwerer, privat vorzusorgen.
„Die staatliche Pension allein wird in Zukunft kaum ausreichen, um den gewohnten Lebensstandard zu sichern. Deshalb ist es wichtig möglichst frühzeitig selbst aktiv zu werden und privat vorzusorgen.“
Die Digitalisierung und der Einsatz von KI spielen eine immer größere Rolle im Versicherungs- und Beratungsprozess. Wie gestaltet die Wiener Städtische diesen digitalen Wandel konkret, um sowohl die „Kunden-Convenience“ zu erhöhen als auch die persönliche Beratung als unverzichtbar zu erhalten?
Für die Wiener Städtische ist KI schon lange ein großes Thema. Als Technologieführer innerhalb der Versicherungsbranche setzen wir uns damit schon seit Jahren auseinander. Vor allem bei internen Prozessen findet KI bei uns Anwendung. Mit „losleben“ zeigen wir unseren Kundinnen und Kunden die einfache Welt der Versicherung – und das ganz bequem von zuhause aus oder unterwegs.
Verträge einsehen, Rechnungen einreichen oder Schäden melden. Egal, ob mittels App oder Weblösung, mit „losleben“ spart man wertvolle Zeit, um sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren. Dieses digitale Service zeigt wie man KI gezielt einsetzen kann und ist ein Leuchtturmprojekt mit der bereits über 70 Prozent aller eingereichten Apotheken- und Arztrechnungen automatisiert abgewickelt und ausbezahlt werden.
Im Schnitt reichen Kundinnen und Kunden rund 9.000 Rechnungen pro Woche über die App ein. Der Vorteil: Die Einreichung erfolgt bequem von zuhause aus und unsere Kundinnen und Kunden erhalten wesentlich schneller ihr Geld. „losleben“ wurde mehrfach als beste Versicherungs-App ausgezeichnet.
Weiters können wir auf den neuen ID-Extraktor zugreifen, der automatisiert die Identifizierung von Ausweisdokumenten durchführt und eine Verknüpfung mit den Kundendaten herstellt. Das verbessert die Nachvollziehbarkeit und ersetzt fehleranfällige manuelle Prozesse.
Sie betonen die Bedeutung der privaten Gesundheitsvorsorge als Ergänzung zum öffentlichen System. Angesichts des Ärztemangels und langer Wartezeiten, welche konkreten Vorteile bietet der neue Sonderklasse-Tarif „bestHEALTH“ speziell für Frauen und ihre Gesundheitsbedürfnisse?
Das Gesundheitsbewusstsein der Österreicher steigt – und mit ihm die Nachfrage nach privater Vorsorge. Besonders Frauen benötigen maßgeschneiderte Absicherungen, die ihre individuellen Gesundheitsbedürfnisse berücksichtigen. Der Sonderklasse-Tarif „bestHEALTH“ der Wiener Städtischen bietet genau das: Der Selbstbehalt entfällt bei Entbindungen, Hebammenleistungen sowie die Vor- und Nachbetreuung bei der Geburt werden finanziell unterstützt. Vier flexible Tarifvarianten ermöglichen eine individuelle Anpassung – mit europaweitem Schutz oder optional sogar weltweit. Damit ergänzt die private Sonderklasse-Versicherung das öffentliche Gesundheitssystem und sorgt für mehr Sicherheit in jeder Lebensphase.
„Speziell Frauen haben aufgrund verschiedener Rahmenbedingungen oftmals einen noch größeren Vorsorgebedarf abzudecken als Männer.“
Die Kundenansprüche an Transparenz und Schnelligkeit steigen permanent. Gleichzeitig werden Kunden immer selbstbestimmter in der Wahl ihrer Kommunikationskanäle. Wie begegnet die Wiener Städtische dieser Entwicklung?
Kundenzufriedenheit und exzellentes Service hat für uns höchste Priorität. Wir bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten mit uns in Kontakt zu treten. Die Wiener Städtische ist für ihre Kundinnen und Kunden sieben Tage die Woche rund um die Uhr erreichbar. Unter wienerstaedtische.at/kontakt stehen alle Kontaktmöglichkeiten – Telefon, E-Mail, Videoberatung oder Live Chat – zur Verfügung. Schnell und unkompliziert erreicht man uns auch mittels Direktnachricht über unsere Social-Media-Kanäle wie Facebook oder Instagram.
Welche konkreten Innovationen und Trends im Versicherungsvertrieb beobachten Sie besonders aufmerksam und wie bereitet sich die Wiener Städtische darauf vor, um auch in Zukunft eine Vorreiterrolle?
Die Digitalisierung ist ein wichtiger Baustein der Zukunftsstrategie der Wiener Städtischen. Laufend wird an neuen Akzenten, Initiativen und Ideen gearbeitet – die Implementierung künstlicher Intelligenz und die Zusammenarbeit mit dem Silicon Valley sind wichtige Milestones. Damit wird die Digitalisierungsoffensive konsequent fortgeführt und die Innovationsführerschaft abermals untermauert.
Die Digitalisierungsstrategie der Wiener Städtischen fußt auf zwei Pfeilern: einerseits dem eigenen Innovations-Hub „Viesure“ und andererseits auf der Zusammenarbeit mit Plug an Play aus Silicon Valley. Mit unserem konzerneigenen Start-up viesure haben wir 'inhouse' einen innovativen Partner, um digitale Services und Prozesse voranzutreiben. Dieses hat schon erfolgreich unsere „losleben“-App auf den Markt gebracht, die als beste Versicherungs-App mehrfach ausgezeichnet wurde.
Wir sind „Founding Partner“ der weltweit führenden Innovations-Plattform Plug and Play Tech Center aus dem Silicon Valley. Mit der Kooperation können wir interessensspezifische Themen mit Start-ups in Wien, München und im Silicon Valley erarbeiten und auf ein Netzwerk von über 15.000 vorab geprüften Start-ups zugreifen. Der besondere Vorteil zu anderen vergleichbaren Innovationsplattformen liegt für uns darin, dass wir genau unsere Anforderungen für digitale und innovative Lösungen festlegen, Plug and Play selektiert und präsentiert uns gezielt Start-ups, die dafür bereits Lösungen anbieten bzw. in diese Richtung arbeiten.
„Besonders Frauen benötigen maßgeschneiderte Absicherungen, die ihre individuellen Gesundheitsbedürfnisse berücksichtigen.“
Inwieweit berücksichtigt die Wiener Städtische bei der Produktentwicklung die spezifischen Bedürfnisse der Kunden, um eine rasche Polizzierung und Schadenabwicklung zu gewährleisten?
Wir haben im Bereich Haushalts- und Eigenheimversicherung sowie in der Krankenversicherung schon seit Jahren eine Semi-Dunkelverarbeitung – also die teilweise automatisierte Erledigung von Prozessen ohne die aktive Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Bereich Antragsverarbeitung sind wir im Partnerbereich je nach Anbindung vollautomatisiert. In der Schadensbearbeitung sind viele Teilprozesse wie Schadensanlage oder Poststückzuordnung bereits dunkelverarbeitet. 2024 werden wir auch die E2E-Dunkelverarbeitung (von der Schadensanlage bis zur Zahlung) in Teilsparten einführen.
Foto: Marlene Fröhlich/luxundlumen