Austrian Business Woman im Gespräch mit Mag. Silvia Angelo, Vorständin ÖBB-Infrastruktur AG.
Ihr Résumé des vergangenen Geschäftsjahres?
Natürlich hatte uns Corona wie alle fest im Griff. Die ÖBB ist aber ein starkes Team, und es ist dieser Teamgeist, der uns sicher durch die Krise getragen hat und trägt.
Aber natürlich ist es eine Herausforderung, alle beisammen zu halten und durch Homeoffice & Co nicht auseinander zu fallen. Gleichzeitig stehen wir vor der wichtigen Aufgabe, in der Pandemie den Verkehr aufrecht zu erhalten und Ansteckungen zentraler Einheiten zu verhindern. Und nicht zuletzt haben wir dafür Sorge zu tragen, auf unseren Bahnhöfen das Ansteckungsrisiko bestmöglich zu minimieren. Das alles ist uns gut gelungen, die Bahn ist und bleibt eine stabile Mobilitätspartnerin.
Doch auch in der längerfristigen Planung hat Corona neue Herausforderungen gebracht. Die ÖBB stehen vor einem großen Generationenwandel, das bedeutet, wir müssen auch während der Pandemie unsere nächste Generation ausbilden. Hier haben unsere Kollegen der Aus- und Weiterbildung volle Arbeit geleistet und rasch auf online umgestellt.
Was tun die ÖBB im Bereich der Nachhaltigkeit?
Sehr, sehr viel. Es ist eines unserer wichtigsten Themen. Wir können in Österreich die Klimaziele nur durch die Bahn – durch massive Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene – erreichen. Das ist eine große Herausforderung für unsere Infrastruktur, der wir uns aber sehr gerne und sehr engagiert stellen. Natürlich ist es auch ungemein wichtig, dass wir als Unternehmen selbst im Bereich Nachhaltigkeit ein Vorbild sind.
So haben wir bereits 2018 als eines der ersten Bahnunternehmen der Welt auf 100 Prozent Grünstrom umgestellt, 2019 folgten dann alle Bahnhöfe, Werkstätten, Büros und weitere Anlagen. Unser Strom kommt aus Wasserkraft, Sonne und Wind – und diese Ressourcen bauen wir auch selbst aus. Wir haben insgesamt zehn Wasserkraftwerke, deren Kapazitäten an die Anforderungen der Zukunft angepasst werden. Wir haben in Wilfleinsdorf das erste Solarkraftwerk für Bahnstrom gebaut, und laufend folgen weitere Photovoltaikanlagen.
Bereits jetzt werden mehr als 90 Prozent der Transportleistungen auf unseren Schienen elektrisch erbracht. Und bis 2030 soll der Diesel- und Benzinverbrauch der Infrastruktur AG auf Null gesunken sein.
Dazu sorgen wir auch für die Umwelt in unserem engeren Umfeld: Wir geben Grünflächen der Natur zurück, und wir kümmern uns auch mit Hilfe von professionellen Imkern um die 4,4 Millionen „Schienen-Bienen“, die bei uns wohnen und arbeiten. Und sehr wichtig: Wir verzichten auf den Einsatz von Glyphosat, um unsere Schienenanlagen im Sinne der Verkehrssicherheit frei von Unkraut zu halten. Auch hier haben wir in Europa eine Vorreiter-Rolle.
Welche Maßnahmen werden in Bezug auf Lehrlings- und Frauenförderung gesetzt?
Die Förderung von Frauen ist mir ein besonderes Anliegen, und entsprechend haben wir hier auch sehr effiziente Programme. Wir sind als Infrastrukturbetreiber mit rund 18.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein sehr Technik-lastiges Unternehmen. Damit ist auch klar, warum unser Frauenanteil mit knapp 10 Prozent leider unterdurchschnittlich ist. Natürlich ist es in diesem fordernden Umfeld eine Herausforderung, den Frauenanteil deutlich anzuheben – eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen.
Denn Diversität in unserer Mitarbeiterstruktur ist die Voraussetzung, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Die Digitalisierung unseres Arbeitsumfeldes spielt hier eine bedeutende Rolle. Denn das Bild von ölverschmierten Männern, die schwere Stahlteile durch die Gegend tragen, ist ein Klischee von gestern.
Heute sind es „digitale Zwillinge“ unserer Infrastruktur im Computer, 3-D-Drucker und Virtual Reality, die uns den Weg in die Zukunft weisen – und es Frauen erleichtern, in die Welt der Bahn-Infrastruktur einzusteigen. Die Digitalisierung ermöglicht zudem flexiblere Arbeitsmodelle, die Frauen entgegenkommen.
Die Digitalisierung kann hier zu einem „Gamechanger“ werden – allerdings ist das kein Selbstläufer. Mit effizienten Strategien müssen hier geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Vorteile auch nutzen zu können. Es ist entscheidend, von Einzelmaßnahmen zu einer umfassenden, schlagkräftigen und effizienten Strategie zur Frauenförderung zu kommen.
Wir haben ein ganzes Bündel an Maßnahmen geschnürt, um diese Ziele auch zu erreichen. So wie wir im Bereich des Umweltschutzes zum größten Klimaschutz-Konzerns Österreichs geworden sind, wollen wir auch bei der Diversität mit gutem Beispiel voranschreiten. Unglaublich wichtig ist die Unterstützung der Frauenförderung durch das Top-Management.
Deshalb haben die ÖBB eine Gleichstellungspolicy und Diversity Charta. Diese sieht für die ÖBB-Infrastruktur einen Frauenanteil von 10,5% bis 2023 vor. Die Zielerreichung wird halbjährlich durch Diversity Bericht überprüft. Für uns, die ÖBB-Infrastruktur, ist Diversität eine enorme Chance. Ausgangsbasis war eine umfassende, faktenbasierte Aufbereitung des Status Quo mithilfe des Frauen-Karriere-Index (FKi) als Analyse- und Managementinstrument. Aufbauend auf den Ergebnissen wurden sehr effektive Maßnahmen entwickelt.
Die Maßnahmenerarbeitung orientierte sich an strategischen Ansatzpunkten, darunter:
Arbeitszeitflexibilisierung, frauenspezifische Ausgestaltung bereits bestehender Maßnahmen, Informationsoffensiven zu bestehenden Angeboten sowie Regionalisierung und flächendeckende Ausrollung von Maßnahmen (auch über digitale Lösungen).
Und zu den Lehrlingen: Die sind unsere Zukunft. Die Mitarbeiter der Zukunft, die wir dringend benötigen. Und wir arbeiten daran, immer besser zu werden. Das zeigt unsere neue Kampagne: Next Level: Wir bringen die Lehrlingsausbildung in allen Bereichen auf eine neue Stufe. Aktuell bilden wir über 2.000 Jugendliche in 27 unterschiedlichen Lehrberufen aus.
Jahr für Jahr nehmen wir rund 600 neue Lehrlinge auf und wir garantieren ihnen eine Ausbildung auf Top-Niveau. Daneben gibt es fairen Lohn, genügend Freizeit, 5.000 km Freifahrt mit den Zügen der ÖBB durch ganz Österreich und gute Jobchancen – rd. 75% der Lehrlinge werden aktuell übernommen und starten bei uns im Unternehmen ihre berufliche Karriere.
Wir wissen, dass für die Berufswünsche oftmals noch traditionelle Bilder prägend sind. Wir versuchen deshalb als technisches Unternehmen ganz gezielt junge Frauen zu erreichen, um sie für unsere Lehrberufe und Jobs zu begeistern. Und es zeigt sich schon, dass es wirkt: immerhin sind fast 20% der Lehrlinge Frauen. Das ist deutlich mehr als im gesamten Konzern.
In welche Richtung wird sich das Mobilitätsverhalten der Österreicherinnen und Österreicher entwickeln?
Der Trend geht eindeutig zu umweltfreundlichen Lösungen, also zum Öffentlichen Verkehr. Das zeigt der Erfolg des Klimatickets der Bundesregierung, das zeigen aber auch die Zahlen der Fahrgäste, die auf unseren Schienen und in unseren Bahnhöfen unterwegs sind. Auf der Weststrecke haben wir in den vergangenen Jahren seit dem Ausbau in vielen Segmenten eine Verdoppelung feststellen können. Ein Beweis der These, dass ein gutes Angebot auch Nachfrage schafft. Und die gleiche Entwicklung werden wir auf der Südstrecke sehen, wenn die Großbauprojekte Koralmstrecke 2025 und Semmering-Basistunnel 2028 fertig sein werden. Wenn man dann erstmals direkt mit der Bahn von Graz nach Klagenfurt reisen kann – und das mit 45 Minuten in einer Zeit, mit der kein Auto mitkommt – dann wird das zu einem massiven Zuwachs führen. Und die Fahrtzeit von Wien nach Klagenfurt in etwas mehr als zweieinhalb Stunden hat das gleiche Potential.
Ihre Wünsche und Ziele für dieses Jahr?
Ja, zuallererst einmal das Ende der Pandemie und endlich die beiden letzten Weihnachtsfeiern mit den Kolleginnen und Kollegen nachfeiern. Außerdem wünsche ich uns allen viel Kraft und Energie für das kommende Jahr, denn wir haben das größte Bahn-Ausbaupaket umzusetzen und werden damit unsere Infrastruktur noch fitter für die Zukunft zu machen.
Außerdem wünsche ich mir, wie schon angesprochen, möglichst viele Frauen für die Bahn zu begeistern – nicht zuletzt, um den großen Generationenwechsel zu meistern. Und einen Wunsch darf ich auch nach Brüssel senden: Um den Mobilitätswandel auch grenzüberschreitend zu einem Erfolg zu machen, dürfen unsere Bahnprojekte nicht an den nationalen Grenzen enden.
80 Prozent der Güter, die Österreich durchqueren, sind grenzüberschreitend unterwegs. Doch die Bahn ist im Güterverkehr gegenüber der Straße enorm benachteiligt: viele Kosten des LKW-Verkehrs zahlt die Allgemeinheit. Neben finanziellen Aspekten kommt noch eine Vielzahl an anderen Hürden hinzu. Während ein einziger LKW mit einer Zulassung und einem Führerschein von Nordwest- bis Südosteuropa durchqueren kann, muss ein Zug auf derselben Strecke 10 Mal Lokführer wechseln und 6 verschiedene Kontrollsysteme passieren. Mein größter Wunsch ist wohl: einen Zug durch Europa zu fahren muss so einfach sein wie einen LKW.
Foto: Sebastian-Philipp