Sie ist die erste Frau, in dieser Position: Austrian Business Woman sprach mit Anna Parr, die als Generalsekretärin die Geschäfte der Caritas Österreich übernommen hat.
Bitte schildern Sie uns kurz Ihren bisherigen Werdegang?
Ich bin seit fast 22 Jahren beruflich im Gesundheits- und Sozialbereich tätig. Über sieben Jahre lang war ich Mitglied der Geschäftsleitung der Vinzenz Gruppe, einem der größten privaten Träger von gemeinnützigen Gesundheits- und Sozialeinrichtungen in Österreich. In dieser Funktion war ich für die Angebote in den Bereichen Rehabilitation, Pflege und ambulante Dienste verantwortlich.
Zuletzt war ich Geschäftsführerin in zwei Unternehmen, unter anderem kardiologisches Reha-Zentrum, Ambulatorium für Menschen mit Essstörungen und verantwortlich für den gesamten Ausbau ambulanter Rehabilitationsangebote. Davor war ich unter anderem Verwaltungsdirektorin im Krankenhaus Göttlicher Heiland (Wien) und Geschäftsführerin der Pflegehäuser (Wien, Niederösterreich).
Was fasziniert Sie an Ihrer neuen Tätigkeit?
Die Caritas – davon bin ich überzeugt – ist eine der Organisationen, die die Welt ein Stück besser machen: im Kleinen, in der Pflege und Betreuung von Menschen, beim Lernen mit Kindern, beim Kochen für Obdachlose, wenn wir einer Familie in Afrika Saatgut zur Verfügung stellen. Und im Großen, wenn wir wichtige gesellschaftliche Anliegen mitgestalten und unsere Vorschläge, Erfahrungen, Ideen einbringen, wie aktuell bei der Pflegereform.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Besonders am Herzen liegt mir, Kinderarmut in Österreich abzuschaffen und mehr Menschen für die Pflege zu begeistern und gut auszubilden. Im Hinblick auf die Kinderarmut setze ich mich für einen „Pakt für Kinder“ ein, der sich auf drei Säulen stützt: materielle Absicherung, gleiche Chancen für Bildung und die Förderung der Kindergesundheit.
Laut offizieller Statistik waren in Österreich schon vor der Corona-Krise 231.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Das ist unerträglich für ein wohlhabendes Land wie Österreich. Alle Kinder und Jugendlichen in Österreich sollten die gleichen Chancen bekommen und gesund und mit einem Schulabschluss erwachsen werden können.
Kinderarmut bedeutet heute leider noch immer Chancenarmut. Und Familienarmut bedeutet immer auch Kinderarmut. Also muss man hier ganz breit ansetzen. Das Ziel muss lauten, Kinderarmut in Österreich bis zum Jahr 2030 endgültig abzuschaffen. Als Caritas sind wir überzeugt: Gemeinsam können wir dieses Ziel erreichen.
In der Pflege geht es in erster Linie darum, das Image des Pflegeberufs zu verbessern, damit mehr Menschen sich für diesen so wichtigen und erfüllenden Beruf begeistern. Dazu gehört auch ein flächendeckend zugängliches, qualitätsvolles Ausbildungsangebot ohne Eintrittshürden.
Bitte beschreiben Sie uns Ihren Arbeitsstil und Ihren Arbeitsalltag?
Die Caritas ist österreichweit aktiv und regional verankert: 53 Sozialberatungsstellen, 12 Mutter-Kind-Häuser, 47 Senioren- und Pflegewohnhäusern, unzählige weitere Angebote und Projekte. Derzeit bin ich viel in ganz Österreich unterwegs, um die Angebote und auch die Probleme und Herausforderungen der Arbeit gut kennenzulernen.
Gleichzeitig versuche ich so gut es geht im Büro in Wien präsent zu sein, und bereite mich dort auf die inhaltliche Arbeit im Herbst intensiv vor. Mir ist wichtig, mit den Menschen in Kontakt zu sein und unsere Arbeit in den Beratungsstellen und Einrichtungen gut zu kennen. Bei meinen Gesprächen mit den MitarbeiterInnen und den KlientInnen erfahre ich, was die Menschen etwa in der Pflege beschäftigt. Das wiederum hilft mir wenn es darum geht, die anstehende Pflegereform konstruktiv mitzugestalten.
In welchen Bereichen sehen Sie die größten Herausforderungen in den kommenden Monaten?
Wir befinden uns in einer Pandemie und am schwersten trifft uns in ganz Österreich die Rekordarbeitslosigkeit. Durch Jobverlust und Kurzarbeit sind viele Familien in Existenznöte gekommen. Viele Maßnahmen der Regierung haben hier gegriffen, aber es gibt noch Lücken. Viele Menschen kommen in die Caritas Sozialberatung und wissen nicht mehr wie sie die Miete oder Energierechnungen bezahlen sollen.
In unsere 53 Sozialberatungsstellen in ganz Österreich kommen, im Vergleich zum Vorjahr, derzeit deutlich mehr Menschen, die sich zum ersten Mal an die Caritas wenden müssen. In der Steiermark waren es im vergangenen Halbjahr um 37% mehr und in Teilen Niederösterreichs sogar um 41% mehr Erstkontakte.
Ein weiterer Bereich, der extrem gefordert ist, ist der Pflegebereich, wo wir schon jetzt einen extremen Personalmangel haben. Die Arbeitssituation spitzt sich durch Corona zu, etwa wegen der zusätzlichen Hygienemaßnahmen. Die Organisation von Besuchen der Angehörigen wird nun vom Pflegepersonal abgewickelt. Das alles machen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun zusätzlich zu ihren herkömmlichen Aufgaben.
Was empfehlen Sie Menschen, die besonders von der Corona-Krise betroffen sind?
Wir laden diese Menschen ein, zu uns in die Sozialberatung zu kommen. Wir finden beim Gespräch gemeinsam heraus, wie wir helfen können. Die Caritas unterstützt Familien in ihren Beratungseinrichtungen, sie hilft jungen Menschen in Lerncafés beim Lernen oder bietet Müttern in prekären Situationen ein Zuhause.
Wir sehen in unseren Sozialberatungsstellen in ganz Österreich und auch die im Herbst vom Sozialministerium veröffentlichte Studie über die sozialen Folgen von Corona zeigt: die Armut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Menschen, die nie zuvor gedacht hätten, sich um Unterstützung an die Caritas wenden zu müssen, kommen zu uns. Das Jahr 2020 war und ist für viele von uns ganz außerordentlich belastend.
Ihre Pläne und Ziele für dieses Jahr?
In meiner Rolle als Generalsekretärin der Caritas Österreich möchte ich mithelfen, die Not zu lindern, die durch diese Pandemie zweifellos zunehmen wird.
Hier sind wir sehr gefordert und auch gebraucht.
Aber auch jede noch so schwierige Situation birgt in sich eine Chance. Wir sollten z.B. die Chancen der Digitalisierung auch weiter nützen. Außerdem bin ich überzeugt, dass uns diese Krise auch im Zusammenhalt stärken kann.
Auch im Privaten hat Corona – so finde ich – Positives bewirkt. Ich beobachte bei mir und meinem Umfeld, dass die Bedeutung von Familie und Freunden, von guten Gesprächen und Gemeinschaft, stärker geworden ist. Und dass man schon mit kleinen Dingen Freude bereiten kann. Das nehme ich mir jedenfalls mit – nicht nur ins nächste Jahr.
Wie/wo finden Sie einen Ausgleich zum herausfordernden Berufsalltag?
Den Ausgleich finde ich immer in der Natur. Zum einen beim Spaziergehen, Wandern oder in den Bergen. Aber auch durch die Beobachtung der Natur, damit meine ich die Natur wirklich auf sich wirken zu lassen. Von Frühjahr bis Herbst bin ich leidenschaftliche Hobby-Gärtnerin und freue mich über mein eigenes Gemüse, das ich ernten und verkochen kann. Und ich reise sehr gerne – und lerne dabei neue Kulturen kennen. Ich hoffe sehr, dass das bald wieder möglich ist.
Foto: Caritas