Prof. Elisabeth Stadler, Generaldirektorin der Vienna Insurance Group: Die Solidarität innerhalb unserer Gruppe ist einfach großartig

Elisabeth Stadler ist Generaldirektorin der Vienna Insurance Group. Wir haben mit ihr über die Auswirkungen des Ukrainekrieges und die Perspektiven für die Zukunft in diesen Zeiten gesprochen. 

 

Uns alle prägt derzeit ein Krieg mitten in Europa. Die VIG-Gruppe ist in der Ukraine tätig, inwieweit sind sie davon direkt betroffen?

Dass heute Menschen auch in unserer Gruppe einer Kriegsgefahr ausgesetzt sind und um Leib und Leben fürchten müssen, schmerzt uns sehr. Wir sind in der Ukraine seit 2004 vertreten und haben drei Gesellschaften, die rund 100 Mio. Euro Prämienvolumen erwirtschaften. Im Verhältnis zum Gesamtprämienvolumen von 11 Milliarden Euro ist der Anteil gering.

Auch wenn wir im Rahmen unserer Strategie die Ukraine als Markt mit überproportionalem Marktwachstum definiert haben, steht nicht der wirtschaftliche, sondern der menschliche Aspekt und die Lage für unsere rund 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vordergrund. Wir haben unmittelbar nach Kriegsausbruch innerhalb der Gruppe mit koordinierten Hilfs- und Unterstützungsaktionen, vor allem in den Nachbarstaaten zur Ukraine begonnen.

Unsere Gesellschaften haben Wohnungen für die Mitarbeiter und deren Familienangehörige organisiert und ausgestattet. Mehr als 500 Personen konnten wir so in Wohnen unterbringen, auch in Österreich. Parallel unterstützen unsere Gesellschafen auch lokale und internationale Hilfsorganisationen. Die Solidarität innerhalb unserer Gruppe ist einfach großartig.

Der Geschäftsbetrieb wird unter diesen Umständen eingestellt sein. Wann rechnen Sie wieder mit der Aufnahme des Versicherungsgeschäfts in der Ukraine? 

So unglaublich das klingt, wir haben bereits wieder Geschäftsbetrieb - so gut es halt geht - und zwar in jenen Teilen, die nicht unmittelbar von den Kriegskämpfen betroffen sind. Zu Kriegsbeginn wurden klarerweise alle Tätigkeiten eingestellt, aber unsere ukrainischen Kolleginnen und Kollegen sind sehr engagiert und wollen jetzt wieder soweit wie möglich den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten.

Selbst Mitarbeitende, die teils mit ihren Familienangehörigen geflüchtet sind, arbeiten von auswärts mit ihren Laptops und wollen für das Unternehmen und die Kundinnen und Kunden da sein. Wir haben bereits einige, die wieder zurück nach Hause gegangen sind. Ich habe großen Respekt vor unseren ukrainischen Kolleginnen und Kollegen.

Wir haben gehört, dass die VIG auch einen eigenen Hilfsfond für die ukrainischen Gesellschaften eingerichtet hat. Was passiert damit?

Wir haben den „VIG Family Fund“ mit 5 Millionen Euro Basisdotierung initiiert. Unsere Gesellschaften und auch die Mitarbeiter zahlen laufend in diesen Fond ein. Mit dem Geld wollen wir betroffene Familien unserer ukrainischen Gesellschaften direkt für den Wiederaufbau zerstörter Wohnungen und Häuser sowie für kriegsbedingte persönliche Härtefälle unterstützen.  

Was erwarten sie angesichts der direkten und indirekten Auswirkungen des Krieges, der sich auch in steigenden Preisen und höherer Inflation bemerkbar macht für das Geschäftsjahr 2022?

Wir müssen in unsere Überlegungen auch die indirekten Auswirkungen, wie die Volatilitäten auf den Kapitalmärkten und die Sanktionen gegen Russland miteinbeziehen. Und wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass wir uns weiterhin inmitten einer Pandemie befinden, auch wenn wir deren Auswirkungen bisher gut meistern konnten. Insgesamt erwarten wir auf Grund unserer Kapitalstärke, der breiten Diversität und unseren seit Jahren konsequent gesetzten Optimierungsmaßnahmen eine weiterhin positive operative Performance für 2022.

Wo liegen die Schwerpunkte der Gruppe für die nächsten Jahre?

Wir haben mit „VIG 25“ ein laufendes Strategieprogramm bis 2025, wo wir Aktivitäten planen, die uns zukunftsfit halten und zur Stärkung unserer finanziellen Stabilität und Profitabilität beitragen. Daraus haben wir drei Gruppenziele definiert. Den Ausbau unserer führenden Marktposition in CEE, die Schaffung von nachhaltigem Wert durch Erreichung spezifischer Kennzahlen und die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. 

Die VIG-Gruppe ist bereits Marktführer in der Region CEE, wo können und wollen Sie da noch wachsen?

Wir haben unseren Kernmarkt mit 20 Ländern in der CEE-Region definiert in denen wir vertreten sind und wollen dort bis Ende 2025 in allen Märkten zumindest unter den Top 3 sein. Derzeit sind wir das bereits in rund 60 % unserer Märkte.

Vor kurzem haben wir nach dem Erwerb von Gesellschaften der niederländischen Aegon Gruppe die Marktführerschaft in Ungarn übernommen. Generell sehen wir aber noch enormes Wachstumspotential in diesen Märkten. Die Menschen in dieser Region investieren im Schnitt ein Zehntel jenes Betrages für Versicherungen, den hierzulande Österreicherinnen und Österreicher investieren. 

Folgen Sie durch die Betonung der Nachhaltigkeit dem allgemeinen Trend?

Nachhaltigkeit ist mit Sicherheit kein vorübergehender Trend, sondern gekommen, um zu bleiben. Nachhaltigkeit spielt bei allen Investitionen in ganz Europa eine wichtige Rolle. Strategische Überlegungen werden vom Thema Nachhaltigkeit deutlich beeinflusst. Investoren und Kunden achten zunehmend genauer darauf, ob Unternehmen in diesem Bereich aktiv sind oder nicht.

Das gilt natürlich auch für die Versicherungsbranche. Versicherungsgesellschaften sind wichtige Kapitalgeber für die Volkswirtschaften und sorgen dafür, dass die Wirtschaft und damit auch die Gesellschaft floriert. Sie leisten daher einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltig zukunftsorientierten und modernen Gesellschaft. 

Foto: Philipp Lipiarski

 

 

 


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