Bewusst sein für Kultur schaffen: Dr. Elisabeth Freismuth, Rektorin der Kunstuni Graz, im ABW-Interview

Sie steht an der Spitze der Kunstuni Graz (KUG): Elisabeth Freismuth im ABW-Interview über Studieren als Massenphänomen, den Einfluss der Wirtschaft auf die Universitäten sowie Visionen und Herausforderungen.

 

Auf welchen Bereichen liegt dieses Jahr Ihr strategischer Fokus?

Mit unserem 200-Jahr-Jubiläum im Studienjahr 2016/17 haben wir unterstrichen, dass wir die älteste von Österreichs traditionsreichen Musikuniversitäten sind. In der Art und Weise, wie wir dieses Fest begangen haben, konnten wir uns, denke ich, unter diesen Institutionen klar als Innovationstreiber positionieren.

Die Profilierung wollen wir 2018/19 noch einmal nachschärfen, um als die innovative Musik- und Theateruniversität des Kulturlandes Österreich international First Choice für die interessantesten Studieninteressierten und künftigen Lehrenden zu werden. Politisch gilt es hingegen gemeinsam mit unseren österreichischen Mitbewerbern, den hohen und zugleich autonomen Wert von Kunst und Kultur gegenüber markt- und verwertungsorientierten politischen Positionen zu stärken. Dass mit Eva Blimlinger die Rektorin einer Kunstuniversität der Österreichischen Universitätenkonferenz vorsteht, ist in diesem Kontext  ein wichtiger Aspekt.

Wie zufrieden waren sie mit der Arbeit des Vorjahres?

Sehr! Wir sind neue Themen angegangen: Entgrenzung, Internationalisierungsvertiefung, Nachhaltigkeit, Inter- und Transdisziplinarität, wir haben begonnen, uns mit den negativen Seiten der Geschichte unseres Hauses auseinanderzusetzen, sind neue Kooperationen eingegangen, haben Formate entwickelt und können auf tolle Erfolge unserer Studierenden verweisen. Trotzdem: Stillstand gibt es nicht und die klar identifizierten Entwicklungspotenziale gehen wir an. 

Wo sehen Sie künftig die größten Herausforderungen für die KUG? Welche Visionen haben Sie?

Die größte Herausforderung klingt wohl schon in meiner ersten Antwort an: Es geht darum, das Bewusstsein für die einzigartige Bedeutung von Kunst und Kultur (und dazu möchte ich auch die Kultur- und Geisteswissenschaften zählen) in unserer Gesellschaft besser zu verankern. Wenn es uns gelingt, hier etwas zu bewegen und grundlegende Veränderungen herbeizuführen, würden wir auch viele Herausforderungen – wie etwa den Ausbau des heimischen Nachwuchses – sehr viel leichter lösen. 

Das Studieren ist zum Massenphänomen geworden. Stört Sie dieser Umstand?

Das Studieren an Kunstuniversitäten wie der unseren ist auf Grund der hier traditionell strengen Zugangsbeschränkungen keineswegs ein Massenphänomen. Und es ist mir sehr wichtig, diese Ausbildung international positionieren zu können – wer gut ist, soll hier gefördert werden können, egal ob er aus einem armen oder reichen Elternhaus, aus einem EU- oder Nicht-EU-Land stammt.

Das einzige Studium, das bei uns ohne eine Zulassungsprüfung zu belegen ist, ist Musikologie. Auch dazu stehe ich, denn Universitäten sollen als Orte der kritischen Auseinandersetzung mit Kultur allen offen stehen – auch für Versuch und Irrtum, das ist wichtig. Ebenso bedeutsam ist mir die universitäre Ausbildung für MusikpädagogInnen, gerade sie benötigen – mit Blick auf die Zukunft des Musiklandes Österreich – herausragende Fähigkeiten, die sich auf diesem Weg am besten vermitteln lassen.

Es gibt andere Berufe, für die das nicht gilt. Wir haben exzellente Mitarbeitende am Haus, deren Expertise durch einen Lehrabschluss zu erreichen war: VeranstaltungstechnikerInnen, KlavierstimmerInnen – was würden unsere Kunstschaffenden ohne sie tun? Dem Problem einer Nivellierung des universitären Niveaus sollten wir durch eine Aufwertung der Lehre entgegentreten, nicht  durch das „Krankjammern“ des Universitätsbetriebs.

Wie wichtig sind Ihnen internationale Uni-Rankings?

Nun, wir zählen zwar zu den europaweit größten Kunstuniversitäten, im allgemeinen Vergleich sind wir aber immer noch eine kleine Spezialuniversität und werden durch die internationalen Rankings nicht erfasst. Dabei ist internationaler Vergleich wichtig. Zu hinterfragen sind allerdings die Kriterien, die – wie wir wissen – der Grundlagenforschung und den Geisteswissenschaften per se nicht förderlich sind.

Viel entscheidender ist es, Strategien zu entwickeln, um langfristig eine feste Position in der internationalen Kunstausbildung zu halten: In der zeitgenössischen Musik, im Jazz und in der künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung sind wir schon im „Olymp“, andere Bereiche werden folgen, Sie werden sehen. 

Die universitäre Ausbildung orientiert sich zunehmend stärker an die Bedürfnisse der Wirtschaft – kann sich die KUG dieser Einflussnahme entziehen?

Das können und wollen wir keinesfalls. Wir sind zum Beispiel sehr stolz auf die äußerst erfolgreiche Kooperation unseres Instituts für elektronische Musik und Akustik (kurz IEM) mit international führenden Unternehmen. Aber diese Definition von Erfolg darf nie die einzig gültige sein! Kunst und nicht-kommerzielle Forschung sind ebenso essenziell – für unsere Gesellschaft, für unsere Welt. Daher ist es mir gerade als Rektorin eines Hauses, an dem beide Bereiche vertreten sind, ein großes Anliegen, gegen den von Ihnen genannten einseitigen Trend aufzutreten. 

Warum das so wichtig ist, lässt sich auch am Beispiel des IEM sehr gut zeigen:  Das aktuell erfolgreichste Start-Up aus dem Umfeld des Instituts baut unter anderem auf Erkenntnisse aus der freien nicht-kommerziellen künstlerischen Forschung [der 3D-Audio Speaker IKO von sonible und IEM, der u. a. auf künstlerischen Forschungsprojekten von Gerriet K. Sharmabasiert, Anm.].

Zugleich finden technologische Entwicklungen des Instituts  nicht nur bei weltweit führenden Unternehmen wie Youtube Anwendung, sondern auch in der Orgelforschung unseres Instituts für Kirchenmusik und Orgel. Beides verändert die Welt: einmal rasant und im durchaus sehr großen Stil, einmal im Kleinen, in einer Nische, aber – wer weiß – vielleicht sehr nachhaltig.

Die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung werden den Ausbildungsablauf verändern. Ist die KUG darauf vorbereitet? 

Wir haben eben über das IEM und die Orgelforschung gesprochen. Hier zählen wir zu den internationalen Pionieren diverser Entwicklungen. Durch die enge Verzahnung von Kunst und Forschung versuchen wir, diesen Vorsprung auch in andere Abläufe hineinzutragen. Aber natürlich gibt es an unserem Haus diesbezüglich noch Aufholbedarf, z.B. im Bereich e-Didactics, dies allerdings nie als Ersatz für den Unterricht im zentralen künstlerischen Fach. 

Worauf sind Sie in Ihrer Laufbahn als Rektorin besonders stolz?

Es geht in dieser Position vor allem darum, Potenziale zu heben, sie zu entfalten, sie möglich und nach innen wie außen sichtbar zu machen – beides ist mir, denke ich, bis jetzt immer wieder sehr gut gelungen. Wir konnten das Bewusstsein dafür, welch besondere Kunstuniversität die Stadt Graz hat, nachhaltig vertiefen. Und besonders wichtig sind mir unsere kleinen und großen Beiträge zur Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Fragestellungen z.B. durch Projekte mit El Sistema, der Caritas und anderen Institutionen, die Personen mit besonderen Bedürfnissen oder gesellschaftlich Benachteiligte betreuen. 

Foto: Christian Jungwirth


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