Noch vor zehn Jahren konnten viele Arbeitgeber aus einem Pool an qualifizierten Kandidaten auswählen. In den letzten Jahren hat sich die Situation stark verändert, weiß die Leiterin der Personalabteilung der MedUni Wien.
Wie hat sich der Rekrutierungsprozess in den letzten Jahren verändert?
Vor zehn Jahren waren viele Arbeitgeber:innen in der Situation, dass sie aus einem Pool an qualifizierten Kandidat:innen auswählen konnten. Recruiter:innen konnten sich „austoben“ und mit verschiedenen Auswahlmethoden wie Assessment Center, Case Studies oder mehrstufigen Interview-Prozessen arbeiten.
In den letzten Jahren hat sich diese Situation stark verändert. Heute ist die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber in eine Situation gerückt, wo sie oder er oftmals um eine Handvoll veränderungswilliger Personen werben und mit anderen Unternehmen konkurrieren muss. Die Arbeit im Recruiting hat sich insofern verändert, als heute viel mehr an Strategien gearbeitet wird, wie und wo proaktiv auf die relevante Zielgruppe zugegangen wird, um geeignete Personen anzusprechen.
Welche Methoden nutzen Sie, um die besten Kandidaten für eine Stelle zu finden?
Es gibt nicht die „eine“ Methode. Es hängt ganz davon ab, welche Zielgruppe angesprochen werden soll, für welche Branche gesucht wird und wie die Rolle ausgestaltet ist. Eine offene Stelle für eine:n Social Media Manager:in wird eher in sozialen Medien geschalten, Berufseinsteiger:innen können sehr gut über Kontakte und Empfehlungsprogramme akquiriert werden.
Führungspositionen können nach wie vor in Print-Medien inseriert werden. Ist der Kreis an Personen, die in Frage kommt überschaubar, kann eine Direktansprache zum gewünschten Erfolg führen. Insgesamt sollte auf einen ausgewogenen Mix an verschiedenen Maßnahmen geachtet werden, um den „Recruiting-Funnel“ mit möglichst vielen passenden Kandidat:innen zu füllen. Das schließt ebenso eine positiv besetzte Arbeitgeber:innenmarke, Karriereevents, Hochschulmarketing oder den Außenauftritt in Sozialen Medien mit ein.
Wie und wie oft führen Sie Leistungsbeurteilungen durch?
Insgesamt empfehle ich einmal jährlich einen strukturierten gemeinsamen Blick auf vereinbarte Ziele und Entwicklungsmaßnamen zu werfen. Ein einmal im Jahr geführtes Mitarbeiter:innengespräch ersetzt natürlich nicht das laufende, unmittelbare Feedback zur Zusammenarbeit und Arbeit. In Abhängigkeit von der Position ist es z.B. bei Top-Führungskräften wiederum sinnhaft, einen Zeitraum zu wählen, in dem gesetzte Ziele auch realisiert werden können, oft ist dafür eine Jahresroutine viel zu kurz.
Was sind für Sie Schlüsselstrategien zur Mitarbeiterbindung?
Verschiedene Generationen äußern verschiedene Bedürfnisse im Rahmen des Mitarbeiter:innenlebenszyklus. Besonders Generationen, die jetzt in den Arbeitsmarkt kommen, sind durch flexible Arbeitszeitmodelle, eine sinnhafte Ausrichtung der Stelle, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung, oder eine positive und inklusive Führungskultur motivierbar. An der MedUni Wien arbeiten wir laufend an einer transparenten Kommunikation, bieten attraktive Karrieremodelle und ein internationales Umfeld. Für mich persönlich ist es in meiner Führungsrolle immer wesentlich gewesen, Verständnis für individuelle Situationen von Mitarbeitern aufzubringen und faire Entscheidungen zu treffen.
Welche Rolle spielt die „Unternehmenskultur" bei der Talentbindung?
Seit mehr als 10 Jahren führe ich Austrittsgespräche mit Mitarbeiter:innen, die eine Organisation verlassen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Bindung einer Person an ein Unternehmen sehr stark am Team, der Führungskraft, dem unmittelbaren Arbeitsumfeld und der Unternehmenskultur hängt. Der „persönliche Fit“ zum Arbeitsumfeld und zur Unternehmenskultur spielt eine wesentliche Rolle bei der Talentbindung.
Wie hat die Digitalisierung und KI den HR-Bereich beeinflusst?
In den vergangenen Jahren sind, vor allem im Recruiting, diverse Innovationen auf den Markt gekommen: Chatbots, automatisiertes Screening von Bewerbungsunterlagen, Algorithmen die Inserate im Internet vorschlagen oder die Bewerbung via App werden heiß diskutiert. Oftmals entstehen dadurch wertvolle Entwicklungen z.B. im Bereich Anti-Diskriminierung oder Arbeitgeberattraktivität. Es ist wichtig zu differenzieren, dass nicht jede Innovation zu jeder Organisation passt und der rechtliche Rahmen vor dem Einsatz geklärt werden muss. Zudem ist der persönliche Kontakt im Bewerbungsverfahren unerlässlich, um sich als Arbeitgeber zu präsentieren und ein gutes „Gefühl“ füreinander zu bekommen.
Was sind Ihre besten Praktiken für Stressmanagement am Arbeitsplatz?
Nicht jede Sache ist so wichtig, dass sie am selben Tag erledigt werden muss - Prioritäten setzen und Organisation sind wesentlich. Um im Beruf nachhaltig gute Leistungen erbringen zu können, braucht es auch Zeiten für Ausgleich, wie z.B. beim Sport, in der Natur, mit Familie oder Freunden. Ich persönlich gehe gerne Aktivitäten nach, die mit der unmittelbaren Arbeit gar nichts zu tun haben.
Welche Trends sehen Sie im HR-Bereich?
Aktuelle HR-Trends gehen in Richtung bewusstere Wahrnehmung der Rolle und Verantwortung als Arbeitgeber:in, wie Sinnstiftung und Nachhaltigkeit, Inklusion und Diversität oder Lebensphasenmodelle. Digitalisierung, der Einsatz von KI oder „skill based“ Ansätze, also der Wechsel von starren Jobmodellen hin zu einem flexibleren und Kompetenz-orientieren Einsatz von Arbeitskräften, spielen ebenso eine Rolle. Wiederum gilt, Trends sollten ausgereift genug vor dem Einsatz sein, zur Organisation(skultur) passen und vor allem arbeitsrechtlich gedeckt sein.
Wie gehen Sie mit Mobbing und Diskriminierung am Arbeitsplatz um?
Es ist ganz wesentlich eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der der persönliche Umgang professionell und wertschätzend erfolgt. Das ist die Basis für ein gutes Miteinander und fördert die Leistungsfähigkeit. An der MedUni Wien gibt es im Rahmen des internen Seminarprogrammes entsprechende Schulungen für Führungskräfte und Mitarbeiter:innen. Gleichzeitig gibt es Anlaufstellen, an die sich Mitarbeiter:innen in schwierigen Situationen wenden können.
Welchen Rat haben Sie für Frauen, die eine Karriere im HR-Bereich anstreben?
Um als „Trusted Advisor“ in Personalfragen wahrgenommen werden zu können, ist es wesentlich das „Geschäft der Kunden“ - also die Branche, die Organisation, die Besonderheiten und Herausforderungen zu kennen und zu verstehen. Das kann schon seine Zeit dauern. Neben den erforderlichen fachlichen Skills, dem regelmäßigen Blick auf neue Trends im HR-Bereich und der Berücksichtigung von Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt empfehle ich ein starkes „internes“ Netzwerk mit Führungskräften, Leitungsteams und „Peers“ in anderen Abteilungen aufzubauen, um passgenau und nachhaltig beraten und agieren zu können.
Foto: Bild: MedUni Wien / feelimage