Die Generaldirektorin der VIG im ABW-Talk über den Sinn von Diversität, hybride Kundenbetreuung und die Expansion in den Osten.
Wie ist die Vienna Insurance Group bisher durch diese Pandemie gekommen?
Es ist uns gelungen, mit sehr soliden Ergebnissen durch diese weltweite Ausnahmesituation zu steuern und wir knüpfen mit den bisherigen Zahlen des heurigen Jahres bereits wieder an das Niveau 2019 an und 2019 hatten wir ein äußerst erfolgreiches Geschäftsjahr.
War die VIG-Gruppe von den Lockdowns und Restriktionen so wenig betroffen?
Natürlich hat die Pandemie unseren Geschäftsverlauf beeinträchtigt. Vor allem während der ersten Lockdowns hatten wir in allen unseren Ländern starke Rückgänge im Neugeschäft. Die Entwicklung ist in den darauffolgenden Lockerungsphasen wieder auf Normalniveau zurückgekehrt. Bei Schadensleistungen haben uns die Auswirkungen von Corona vor allem im Veranstaltungssegment und bei der Deckung von Großevents weniger getroffen als Mitbewerber, da die VIG-Gruppe in diesen Bereichen weniger Risiken gezeichnet hat.
Nicht alle großen Versicherungsgruppen haben diese Krise so gut bewältigt. Worin sehen Sie die Gründe der starken Resilienz der VIG?
Wir verdanken sie in erster Linie unseren Mitarbeitern, Kunden und Partnern, die allesamt enormen Einsatz, Verständnis und vor allem Vertrauen in die Gesellschaften unserer Gruppe gezeigt haben. Wir konnten alle geplanten Projekte auch in Pandemiezeiten weiterführen und umsetzen. Wir erleben hohe Kundenloyalität und große Unterstützung unserer Partner. Das sehe ich in dieser herausfordernden Zeit keineswegs als Selbstverständlichkeiten. Es hat sich gezeigt, dass Versicherungen, bei denen es um Schutz und Sicherheit geht, gerade in Krisenzeiten sehr wichtig sind.
Sie betonen stets die hohe Diversität der Vienna Insurance Group. Hat sie in dieser Situation eine Rolle gespielt?
Zweifellos, denn die breite Streuung auf eine Vielzahl von Märkten und Marken ermöglicht es uns, auch in Krisensituationen stabil zu bleiben. Je vielfältiger ich aufgestellt bin, desto leichter sind Turbulenzen in einzelnen Märkten oder bei einzelnen Gesellschaften durch das Gesamtergebnis auszugleichen. Das haben wir jetzt auch während der Pandemie bemerkt und davon profitiert.
Sie haben erwähnt, dass den Kunden jetzt Schutz und Sicherheit wichtig sind. Werden bestimmte Produkte stärker nachgefragt?
Wir verzeichnen in vielen unserer Märkte aber speziell in Österreich eine verstärkte Nachfrage nach privaten Krankenversicherungen. Corona hat zu einem erhöhten Gesundheitsbewusstsein geführt und wir haben drauf mit einer Erweiterung von digitalen Serviceleistungen in diesem Bereich reagiert. Es hat sich gerade in dieser Ausnahmesituation gezeigt, wie wichtig es war und ist, dass wir dem Thema Digitalisierung einen sehr hohen Stellenwert einräumen.
Sie werden sich diesem Thema weiter widmen?
Die Erfahrungen in der Pandemie zeigen uns, dass die Versicherungsbetreuung zukünftig verstärkt hybrid und eine Mischung aus persönlichem und digitalem Kontakt sein wird. Die Kontaktfrequenz mit den Kunden sinkt, weshalb die Bedeutung der Sichtbarkeit bei den Kunden steigt und wir neue Kundenerlebnisse zusätzlich zur Absicherung der Risiken bieten wollen. Wir setzen schon seit Jahren auf den Ausbau von Assistance-Leistungen in unseren Märkten, die dem Kunden einen Mehrwert zur Hauptaufgabe der Absicherung von Risiken bieten, der nicht versicherungstypisch ist. Wir denken auch an die Partizipation und Ansprache über neue Plattformen, die Kunden verstärkt nutzen.
Was war in dieser Pandemie für die VIG die größte Herausforderung?
Von einem Tag auf den anderen tausende Mitarbeiter ins Home-Office zu schicken und trotzdem den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Trotz dieser Ausnahmesituation an unserem Strategieprogramm festzuhalten und die bereits vor Corona geplanten Maßnahmen konsequent fortzuführen, was wir auch erfolgreich getan haben.
Hat Sie auch etwas überrascht?
Dass die digitale Welt so rasch Wirklichkeit wird, hätten wir in dieser Form vorher nicht erwartet. Nahezu alle Mitarbeiter, Kunden und Partner haben diesen Digitalisierungsschritt sehr gut gemeistert und mit ihrer positiven Einstellung zu einer soliden Entwicklung trotz Pandemie beigetragen.
Was wird von den Veränderungen bleiben, die Covid gebracht hat?
Es ist Tatsache, dass durch Corona online- und digitale Dienste eine neue Dynamik bekommen haben und das Thema Digitalisierung generell einen zusätzlichen Schwung erhält. Und natürlich ist das Home-Office gekommen, um zu bleiben. Wir haben bereits ein neues Konzept für mobiles Arbeiten nach Corona erstellt. Es wird möglich sein, bis zu maximal 60 Prozent der Arbeitszeit als mobile Arbeitszeit zu vereinbaren.
Wo sehen Sie für die VIG-Gruppe Wachstumschancen?
Nach Corona wird wieder vor Corona gelten: Ein im Schnitt doppelt so hohes Wirtschaftswachstum in CEE im Vergleich zu Westeuropa. Wir gehen davon aus, dass wir sozusagen nach Corona wieder vom fortschreitenden Aufholprozess und großem Wachstumspotential profitieren werden. Unser Kompass zeigt daher weiter klar nach Osten. Wir wollen unsere führende Position in der CEE-Region nicht nur festigen, sondern weiter ausbauen und nachhaltige Werte für Gesellschaft, Kunden und Mitarbeiter schaffen.
Wo sehen Sie neben der Digitalisierung eine weitere große Herausforderung für die Versicherungsbranche?
Ganz klar beim Thema Nachhaltigkeit, das enorm an Relevanz gewonnen hat. Die Branche hat erkannt, dass Investitionen in ESG-Kriterien in ganz Europa eine wichtige Rolle in strategischen Überlegungen spielen - unabhängig davon, ob aus eigener strategischer Überzeugung oder aufgrund von regulatorischen Anforderungen oder auch wegen Forderungen der Stakeholder. Investoren und Kunden achten zunehmend genauer darauf, ob Unternehmen in diesem Bereich aktiv sind oder nicht. Unser Geschäft ist darauf ausgerichtet, Werte zu erhalten, in erster Linie finanzielle Werte, die Sicherheit von einer Generation zur nächsten schaffen. Nachhaltig zu handeln und in ESG-Kriterien zu investieren, bedeutet für uns jedoch mehr als nur finanzielle Sicherheit zu schaffen. Unsere Prioritäten berücksichtigen in diesem Fall auch zukünftige soziale und ökologische Trends. Das bedeutet, dass wir aktiv an der Schaffung einer lebenswerten Zukunft mitarbeiten wollen und werden.
Foto: Philipp Lipiarski