Prof. Elisabeth Stadler, CEO Vienna Insurance Group AG, über die Versicherung der Zukunft

Prof. Elisabeth Stadler, Generaldirektorin der Vienna Insurance Group, ist die erste Frau, die es vor etwas mehr als zwei Jahren an die Spitze eines ATX-Unternehmens geschafft hat.

 

Austrian Business Woman erklärte die Spitzenmanagerin, wie sie eine knapp 200 Jahre alte Versicherungsgruppe in das digitale Zeitalter führt.

Stichwort Digitalisierung – welche Veränderungen bringt diese mit sich?

Sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens werden sich im Zuge der Digitalisierung grundlegend verändern. Das stellt auch Versicherungen vor großen Herausforderungen: Durch „Smart Home“ und die Steuerung der Risiken durch computergenerierte Systeme wird sich beispielsweise das Haushaltsversicherungsrisiko verändern.

Durch selbstfahrende Autos werden weniger Unfälle erwartet. Durch Cyberkriminalität oder Drohnen werden wir uns intensiver mit neuen Geschäftsfelder beschäftigen müssen. Daraus ergeben sich veränderte Risikofaktoren und neue Prämienkalkulationen.

Wie wird sich die VIG die neuen Technologien in Ihrem Geschäft zu Nutze machen?

Wir wollen einerseits Prozesse und den Online-Vertrieb automatisieren. Andererseits setzen wir unseren Fokus auf die Produkt- und Serviceseite. Wir legen großen Wert auf den Ausbau von Assistance-Leistungen. Hier sehen wir eine große Chance und eine wichtige Aufgabe der Risikoabsicherung. Ziel ist es, den gesamten Prozess von Versicherungsangebot bis Schadenabwicklung und Assistance-Unterstützung aus einer Hand zu haben.

Auf diese Weise können wir die Servicequalität bei der Schadenabwicklung – vom ersten Kontakt bis hin zu den Entschädigungszahlungen – steuern und weiter optimieren können. Und gerade darin finden wir eine Unmenge an Möglichkeiten, wie wir uns neue Technologien zu Nutze machen können.

Zum Beispiel?

Unsere Kfz-Assistance Apps bieten GPS Tracking für die Abschleppdienste an, die sofort wissen, wo sich das Fahrzeug des Kunden befindet und somit rascher beim Kunden vor Ort sind. Der Kunde wiederum kann die Ankunft des Abschleppwagens verfolgen und weiß genau welches Fahrzeug kommt, so ähnlich wie bei Uber. Unsere bulgarische Gesellschaft Bulstrad Leben hat eine innovative Krankenversicherungs-App B-Assist auf den Markt gebracht. Damit können Kunden kostenlos und mit wenigen Klicks Arzttermine vereinbaren. Die App erinnert Kunden an ihre vereinbarten Termine und ermöglicht den Austausch von Dokumenten. Über eine Landkartenfunktion können die Kunden unter kooperierenden Ärzten wählen und diese über die App auch gleich bewerten. 

Wie wird sich persönlich Kontakt zu den Kunden ändern? Wird er unbedeutender werden?

Nein, aber er wird sich verändern – alleine schon aufgrund der Demografie: Bereits im Jahr 2024 wird die Hälfte unserer Kunden aus „Millenials“ und der „Generation Y“ bestehen. Diese Konsumentengruppe hat einen völlig anderen Zugang zur Nutzung von Dienstleistungen und Konsumgüter. Sie haben eine hohe Onlinepräsenz und möchten jederzeit und überall auf Dienste zugreifen können.

Wie lässt sich eine Versicherungsgruppe Ihrer Größe und Ihrer Tradition so organisieren, damit sie für den digitalen Wandel gewappnet ist? 

Wir setzen innerhalb der Gruppe auf lokales Unternehmertum. Die rund 50 Konzerngesellschaften der VIG agieren weitestgehend autonom. In welchen Bereichen, zu welchen Zwecken und mit welcher Priorität sie technische Neuerungen in ihren Tätigkeiten einsetzen, entscheiden sie selbst. Die innovativen Ideen einzelner VIG-Gesellschaften dienen sozusagen als Piloten.

Was funktioniert, kann später auf ein anderes Land übertragen oder gruppenweit ausgerollt werden. Seitens der Holding unterstützen wir aktiv diese Projekte und den gruppenweiten Austausch von Know-how. Die Absicherung der Zukunftsfähigkeit ist ein wesentlicher Teil unseres Managementprogramms „Agenda 2020“. Wir investieren bis zu 50 Millionen Euro jährlich in die Entwicklung und Maßnahmen für die Digitalisierung. 

Stichwort Datenschutz – wie gut ist die VIG auf die neuen gesetzlichen Vorgaben vorbereitet?

Wir sind gut vorbereitet. Weil die neue Datenschutz-Grundverordnung in der gesamten EU und damit auch für die Mehrheit unserer Konzerngesellschaften gelten wird, sind wir die Umsetzung von vornherein großspurig angegangen. Wir nutzen die DSGVO als Anlass, die Prozesse gruppenweit neu zu organisieren und besser zu koordinieren. Unser Ziel ist es, dass wir damit nicht nur den strengen rechtlichen Anforderungen gerecht werden, sondern gleichzeitig Geschäftsprozesse vereinfachen, was letztlich unserer Kundennähe zu Gute kommen kann. Wir sehen die DSGVO in gleichem Maße als Herausforderung und als Chance.

Was wünschen Sie sich von der neuen Regierung?

Vieles von dem, was sich die Regierung in ihrem Programm vorgenommen hat, entspricht langjährigen Forderungen der Versicherungsverbände. Besonders begrüßenswert ist die Absicht, dass der Kapitalmarkt gestärkt und die „Financial Literacy“ der Bevölkerung gefördert werden soll. Ganz wichtig ist auch, dass die Regierung die Zeichen der Zeit offenkundig richtig erkannt hat und die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge stärken will. Das Regierungsprogramm ist in vielerlei Hinsicht im Sinne von uns, Versicherern. Was es letztlich aber Wert ist, misst nicht an dem, was drinnen stehen, sondern an dem, was davon auch umgesetzt wird.

Hat die instabile internationale Wirtschaftspolitik Auswirkungen auf das nationale Versicherungsgeschäft?

Natürlich. Vor allem die Niedrigzins-Politik der Europäischen Zentralbank und ihres Präsidenten Mario Draghi beschäftigt uns. Dem nationalen Versicherungsgeschäft in Österreich, vor allem im Bereich der Lebensversicherung, ist diese Politik, gelinde gesagt, abträglich. Andererseits sorgt sie in Zentral- und Osteuropa dafür, dass die Länder der Region schneller Schulden abbauen können und Investoren genug billiges Geld haben, um in CEE-Märkte zu investieren. Wir beobachten diese Entwicklung also mit einem weinenden und einem lachenden Auge.

Welche Versicherungen empfehlen Sie Frauen in Zeiten wie diesen?

Unabhängig vom Geschlecht muss das jede und jeder nach der persönlichen und individuellen Lebenssituation und ihrem oder seinem Risikobewusstsein abschätzen. Als besonders wichtig erachte ich die Absicherung des Lebensstandards in der Pension durch eine private Pensionsvorsorge und die Unfallversicherung, die in etwa so viel wie eine Tageszeitung kostet und eine enorm wichtige finanzielle Hilfe bei Unfällen mit bleibenden Folgen leistet. Das traute Heim oder die Wohnung abzusichern ist auch essentiell. Denn wer hat so viel Geld auf der Seite, um sich nach einem Brand oder Sturmschaden wieder ein neues Haus finanzieren zu können? 

Foto: Ian Ehm


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