Ein schwieriges Jahr geht zu Ende. Wie die Digital Expertin und Vizepräsidentin des iab, Cosima Serban, die vergangenen zwölf Monate erlebt hat, erzählt sie im ABW-Interview.
Sind die heimischen Unternehmen digital gut aufgestellt, oder besteht Nachholbedarf?
Viele heimische Unternehmen sind auf jeden Fall sehr gut vorbereitet. Andere müssen Gas geben. Zum Glück gibt es gute Ausbildungsmöglichkeiten, Berater, die ihnen zur Verfügung stehen und tolle Informations- und Inspirationsquellen online. 2020 hat uns allen sehr viel beigebracht und diese Erkenntnisse werden uns auch ins Zukunft begleiten. Viele Unternehmen haben neue Prozesse entwickelt, um zum Beispiel virtuell und mit Sicherheitsabstand, Meetings, Brainstorming-Termine und Gespräche erfolgreich führen zu können. Dafür müssen die Internetprovider gute Home-Office Lösungen anbieten, die durch genügend Bandbreite alle Aktivitäten unterstützen können.
Ein Umdenken der Art und Weise „wie“ professionelles Arbeiten ausschauen kann hat auf jeden Fall stattgefunden. Video Calls zum Beispiel wären vor einem Jahr eher unvorstellbar gewesen. Es wäre in vielen Fällen ein Zeichen von Desinteresse gewesen, hätte man sich nicht persönlich treffen wollen, sogar für kurze Abstimmungen. Diese kamen maximal für kurzfristige internationale Gespräche wirklich in Frage.
Heute sind Videocalls zum Teil des normalen Geschäfts geworden und das enorme Potenzial wurde erkannt. Denn diese sparen nicht nur Anfahrtszeiten und -kosten, sondern erhöhen die Effizienz, teilweise sogar die Effektivität und ermöglichen trotz einschränkender Situationen, sehr viel Freiheit und Nähe. Ich habe das Gefühl, dass Branchenkollegen mehr miteinander sprechen, viel offener gemeinsam Neues entwickeln und konzipieren.
Viele haben für sich entdeckt, dass durch Zusammenhalt und Solidarität Besseres geschaffen werden kann. In vielen Fällen haben Experten der klassischen Mediengattungen eingesehen, dass ihnen die digitalen Kollegen viel beibringen können und müssen, denn die digitalen Kanäle stellen plötzlich die einzige Möglichkeit dar, Sales, Vertrieb, PR, Marketing und alles dazwischen voranzutreiben.
Vielen Unternehmen ging und geht es leider immer noch nicht gut und ihnen wünsche ich viel Kraft. Zahlreiche andere Unternehmen haben es geschafft, neue Produkte, Dienstleistungen und Mutationen ihrer bestehenden Geschäftsmodelle zu entwickeln. Diese sind als Sieger der Krise hervorgekommen und haben gezeigt, dass ihr Potenzial viel breiter aufgestellt sein kann.
Ich möchte die Chancen in der Krise sehen und dankbar sein, dass die Routine durchbrochen wurde. So musste man alles umdenken, in Frage stellen, wodurch Weiterentwicklung, neue Perspektiven und Wachstum auf einer persönlichen und beruflichen Ebene entstanden sind.
Wie haben Sie als Gründerin einer Digitalagentur das Geschäftsjahr erlebt?
Solche Herausforderungen bringen viele neue Lösungen, innovative Gedanken und frische Ideen mit sich. Ich wollte schon immer den eigenen, selbstständigen Weg allen Widrigkeiten zum Trotz gehen und diese Zeiten härten mich einfach ab, um noch besser für die Zukunft vorbereitet zu sein. Wer jetzt überlebt und weiterkommt, kann von kaum etwas noch aufgehalten werden.
Die Situationen, die uns 2020 gebracht hat relativieren andere Alltagsprobleme und Kleinigkeiten, die früher viel schlimmer gewirkt hätten. Das Schwierige daran ist, dass so vieles parallel in 2020 passiert. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich und viele andere aus diesem Geschäftsjahr stärker, fokussierter, spontaner und flexibler rauskommen werden. Es gab einige Herausforderungen, die mir viel beigebracht haben, aber auch viele Lichtblicke und Chancen, die mich gestärkt haben und mutig in die Zukunft blicken lassen.
Welche Themen sind für Sie im kommenden Jahr wichtig?
Ich beschäftige mich mit Digitalisierungsthemen, Innovationen und holistischen Strategien, somit bleiben diese Bereiche wie gehabt sehr wichtig für mein eigenes Business und für meine Kunden. Ich bin sehr gespannt auf die neuen Formate, die von den lokalen und internationalen Medien entwickelt werden, vor allem im Video-, E-Commerce-, Social-Commerce und interaktiven Bereich.
Die Daten-Thematiken und damit verbundenen Verordnungen, Regelungen und technischen Lösungen werden mich und uns alle weiterhin stark beschäftigen. Für mich ist wichtig, die Vision zur Realität zu machen, in der Kunde, Media- und Kreativagentur sehr eng zusammenarbeiten, losgelöst von Silos und Intransparenz. Für mich macht nur eine holistische und einheitliche Perspektive Sinn, die in gleicher Qualität und Gewichtung, Konzeption, Kreation, Mediaausspielungen, Optimierungen und übergeordnete Unternehmensstrategien berücksichtigt. Wer das schafft, gewinnt einen massiven Wettbewerbsvorsprung.
Alle Bereiche zahlen so ineinander ein und ergänzen sich gegenseitig, denn sie verfolgen alle die Erreichung derselben übergeordneten Ziele. Die Maschinerie führt erst dann zum richtigen Erfolg. Auf einer menschlichen Ebene, muss auch eine Weiterentwicklung stattfinden. Denn eine Strategie oder Umsetzung ist nur so gut und ehrlich wie die einzelnen Involvierten. Sie müssen sich gegenseitig zuhören und aufeinander hören wollen.
Die besten Kampagnen und Umsetzungen basieren auf die Berücksichtigung unterschiedlicher Blickwinkel und Spezialisierungen, die zu einer gemeinsamen Perspektive vereint werden. Selbstverständlich funktioniert alles viel besser, wenn der Fokus auf Transparenz, Augenhöhe und Teamspirit liegt. So sind für mich gleichermaßen die technologischen Weiterentwicklungen, die neuen kreativen Möglichkeiten, die menschliche Komponente und das Zusammenführen all dieser Bereiche wichtig.
Ihr Tipp für krisengebeutelte, verunsicherte Unternehmen – auf welche Bereiche der Digitalisierung sollte in Zukunft gesetzt werden?
Am wichtigsten ist, Mut und Hoffnung nie aufzugeben! Dadurch gewinnt man Energie und Kraft und wenn man das gerne und gut macht, wird sich der Erfolg wieder zeigen. Digitale Kanäle stellen flexible, in Echtzeit optimierbare, gut messbare Mittel zum Zweck dar und davor sollte niemand Angst haben. Wie in sonst keiner anderen Mediengattung kann man digital Ideen kosteneffizient testen, viel ausprobieren und dabei so einiges lernen.
Im allerersten Schritt ist eine gute, suchmaschinenoptimierte Website wichtig. Wer auch im Bereich bezahlter Suchanzeigen investieren kann, sichert sich einen klaren Vorsprung. Der Aufbau reichweitenstarker Aufmerksamkeit kann durch den Einsatz von Marketing- und Mediabudget schnell passieren, aber für solche, die kein Budget für Werbung haben, sind organische Möglichkeiten sehr empfehlenswert.
Jedes Unternehmen hat eine Geschichte, die erzählt gehört und spannend inszeniert werden kann. Das kann bei der Kundenakquise einen großen Unterschied machen. Präsenz und Auffindbarkeit im digitalen Universum tragen enorm zur Kundenakquise bei. Spannende Informationen oder emotionale Geschichten bringen potenzielle Kunden näher an die USPs der eigenen Produkte und Dienstleistungen. So werden auch in Zukunft Social Media Plattformen von höchster Relevanz sein und genau dort sollte man mit der eigenen Unternehmensseite und den eigenen Postings präsent sein.
Der Private Messaging Bereich wird immer weiterwachsen. So werden Nutzer, die eine Frage oder eine Beschwerde haben, nicht öffentlich unter einem Posting kommentieren oder direkt anrufen. Sie werden sich kompetente Beratung und sinnvolle Antworten, über Messenger, WhatsApp, den Chat Funktionen in der Unternehmens-App oder auf der Website erwarten. Die Vertrieb- und Customer-Support-Strategien brauchen auf jeden Fall neue Ideen.
Moderne Unternehmen mit modernen Kunden, kommunizieren auf einer neuen Art und Weise und diese ist meistens schneller, direkter und einfacher. Daten werden weiterhin wichtiger werden. Die hohe Kunst ist aber nicht Daten zu haben. Die hohe Kunst ist diese Daten richtig zu analysieren, interpretieren und für Strategien, Kreation, Konzeption, Mediaschaltungen, -ausspielungen, Targetingmaßnahmen und Optimierungen einzusetzen.
Die Grenzen zwischen Klassik und Digital verschwimmen immer mehr. Darauf sollte man achten und schauen, welche Erweiterungs- und Verlängerungsmöglichkeiten sich entwickeln. So kann man sich laufend neue Verknüpfungen zwischen den einzelnen Mediengattungen überlegen, zielfokussierte Kampagnen führen und crossmediale Strategien fahren.
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