Von einer Kür zur Pflicht: Nachhaltigkeit ist in den Führungsetagen vieler Unternehmen längst angekommen. Dennoch gibt es unzählige Stellschrauben, um den ökologischen Wandel bis 2030 spürbar voranzutreiben.
ABW sprach mit der Unternehmerin Elisabeth Zehetner kurz bevor sie das Amt der Staatssekretärin übernommen hat. Die Powerfrau hat mit ihrer Initiative „oecolution“ nicht nur einen einprägsamen Begriff geschaffen – eine Kombination aus „Ökologie“ und „Evolution“ –, sondern will vor allem ein neues Mindset in der Wirtschaft etablieren. Im Gespräch erläutert sie, warum Bürokratie und Silodenken nicht zielführend sind und wie wir dennoch Transparenz, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz stärken können.
Unternehmen haben längst verstanden, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine nette Zusatzmaßnahme ist, sondern ganz zentral für ihre Ausrichtung“, sagt Zehetner. Immer mehr Vorschriften, Regulierungen und Marktentwicklungen machen deutlich, dass ökologische Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen müssen. Damit das nicht bloß Lippenbekenntnisse bleiben, fordert sie, Silodenken aufzubrechen: CFOs, Nachhaltigkeitsteams und andere Abteilungen sollten eng zusammenarbeiten, statt jeweils eigene Strategien zu verfolgen. „Nur wenn Nachhaltigkeit als Teil der Gesamtstrategie verstanden wird, kann sie sich auch weiterentwickeln und echte Innovationen hervorbringen“, so Zehetner.
EU-CSRD: Fluch oder Segen für KMU?
Eine zentrale Diskussion in diesem Zusammenhang dreht sich um die EU Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die ab 2024 eine Vielzahl von Unternehmen zu detaillierten ESG-Berichten verpflichtet. Für große Konzerne mit speziellen Abteilungen und Beratern mag das verkraftbar sein. „Doch für KMU sind diese Berichtspflichten eine enorme Hürde“, warnt Zehetner. Viele Firmen hätten weder die Datenbasis noch das Know-how, um komplexe ESG-Berichte auf Knopfdruck vorzulegen.
Dabei sei die zugrunde liegende Idee – mehr Transparenz für Investoren und Verbraucher – grundsätzlich richtig. „Doch nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht“, sagt die Unternehmerin. Kleine Betriebe, die dringend Zeit und Ressourcen für Innovation und Wachstum brauchen, könnten von den neuen Regeln überfordert sein. „Wenn die Bürokratie überhandnimmt, gefährdet das die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit“, so Zehetner weiter. Sie plädiert für vereinfachte Regeln oder längere Übergangsfristen, damit gerade kleinere Unternehmen nicht auf der Strecke bleiben.
„Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht.“
Greenwashing: Zwischen echter Täuschung und inflationärem Vorwurf
Umweltbezogene Kennzahlen und Standards sollen Verbraucherinnen und Verbrauchern eigentlich helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen. „Mit der EU-Taxonomie wird Greenwashing sicher schwerer“, meint Zehetner. Denn wer in Nachhaltigkeit nur eine PR-Masche sieht, riskiert mediale und juristische Konsequenzen. Zugleich lehnt sie pauschale Schuldzuweisungen ab: „Dieses Schwarz-Weiß-Denken, dass alle Unternehmen nur tricksen und täuschen, ist schlichtweg falsch.“ Es gebe durchaus Firmen, die ihre Anstrengungen in Sachen Klimaschutz noch nicht ausreichend kommunizieren oder bei ersten Verbesserungsmaßnahmen schnell als „Greenwasher“ abgestempelt werden.
Aus Zehetners Sicht ist es daher zielführender, Firmen zu ermutigen statt sie mit Vorwürfen zu überziehen. „Statt Unternehmen reflexartig Greenwashing zu unterstellen, sollten wir ihnen den Weg zu nachhaltigeren Lösungen erleichtern“, betont sie. Harte Vorschriften und moralischer Druck allein führten zu weniger Bereitschaft, sich wirklich tiefgreifend mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Wir brauchen Anreize, die Nachhaltigkeit belohnen, nicht nur Regulationen, die an jeder Ecke drohen.“
Kreislaufwirtschaft: Baustellen im wahrsten Sinn
Dass Österreich bei einer Kreislaufwirtschaftsquote von nur 9,5 Prozent liegt (laut Circularity Gap Report 2024), hält Zehetner für „alarmierend“ – und sieht besonders im Bauwesen einen Hebel mit enormem Potenzial. „Recycelte Baustoffe, modulare Bauweisen oder Sanierungen statt Abriss – all das kann nicht nur Ressourcen schonen, sondern ist oft auch wirtschaftlich sinnvoll.“ Gerade im Bausektor werden große Mengen an Rohstoffen verbraucht, die teils noch immer kaum wiederverwertet werden.
Ein weiterer Punkt ist für sie längst überfällig: das Ende des Verbots der geologischen CO₂-Speicherung. „Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilization (CCU) werden entscheidende Bausteine sein, um klimaschädliches CO₂ aktiv aus dem Kreislauf zu holen“, sagt Zehetner. Insbesondere in Branchen wie der Zementherstellung oder bei Müllverbrennungsanlagen, wo Emissionen nur begrenzt vermeidbar sind, müssten solche Technologien zum Einsatz kommen. „Es geht darum, dass nicht nur weniger CO₂ entsteht, sondern dass wir es gar nicht erst in die Atmosphäre gelangen lassen.“
Gas und Atom als „grüne“ Übergangslösung?
Die EU-Taxonomie stuft Gas und Atomkraft als förderfähige Übergangstechnologien ein. Eine ökologische Fehlentscheidung? Zehetner widerspricht einer rein ideologischen Sicht: „Kurzfristig komplett ohne Gas und Atomkraft auszukommen, ignoriert physikalische und wirtschaftliche Fakten.“ Sie warnt vor Blackouts, instabilen Netzen und Produktionsstopps, sollte die Energieversorgung allein durch erneuerbare Quellen gestemmt werden, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht flächendeckend verfügbar sind.
„Wir müssen so schnell wie möglich erneuerbare Energien, Speichertechnologien und Wasserstoff ausbauen“, betont sie. Doch bis dies gelinge, bleibt Gas und Atom für viele Industriezweige unverzichtbar. „Wer das nicht akzeptiert, gefährdet am Ende sowohl die Wirtschaft als auch den Klimaschutz“, fasst Zehetner zusammen. Gerade die energieintensive Grundstoffindustrie sei auf eine stabile und bezahlbare Energieversorgung angewiesen.
Was Tempo in die Nachhaltigkeitswende bringt
Die Frage, welche gesetzliche Änderung oder Subvention die Nachhaltigkeitswende sofort beschleunigen könnte, beantwortet Zehetner mit einem konkreten Problem: den hohen Energiekosten. „Wir sehen, dass Gaspreise wieder steigen und unsere Unternehmen im globalen Vergleich in eine Kostenspirale geraten“, erklärt sie. In den USA beispielsweise ist Gas laut Zehetner nur rund ein Fünftel so teuer wie in Österreich – ein gravierender Wettbewerbsnachteil. Damit Europa hier nicht den Anschluss verliert, seien mehrere Schritte entscheidend: „Schnellere Genehmigungen für nationale Energieprojekte, stabile Stromimporte, Diversifizierung der Gasversorgung, eine rasche Umsetzung der Wasserstoffstrategie und flexible Netztarife“, zählt sie auf. Gleichzeitig müssten Freihandel und Export intensiviert werden, etwa indem man GreenTech-Ausfuhren forciert und durch Freihandelsabkommen für Rohstoffsicherheit sorgt. „Vor allem aber muss unnötige Bürokratie abgebaut werden – von Überregulierungen bis zu nationalen Sonderzielen.“
Klare Anreize statt Überregulierung
Elisabeth Zehetner will mit „oecolution“ nicht nur einen neuen Begriff, sondern vor allem frische Denkanstöße in der Wirtschaft verankern. Ihr Credo: Nur wenn Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Machbarkeit Hand in Hand gehen, lassen sich die anstehenden Herausforderungen meistern. „Es braucht Technologieoffenheit, klare Anreize statt Überregulierung und Kooperation über Abteilungs- und Branchengrenzen hinweg“, fasst sie zusammen. Zwischen ambitionierten Klimazielen, realen Markterfordernissen und rasant steigenden Energiepreisen bahnt sich eine Gratwanderung an – und eben diese Balance will Zehetner mitgestalten. „So schaffen wir eine echte ‚Evolution‘ in Richtung nachhaltige Wirtschaft“, sagt sie abschließend. Und betont: „Dafür sollten wir Mut, Pragmatismus und Innovationsgeist gleichermaßen in den Fokus rücken.“
Zur Person
Mag. Elisabeth Zehetner setzt sich seit mehr als 20 Jahren für innovative Initiativen, junge Unternehmer:innen, Gründer:innen und Frauen in der Wirtschaft ein. Derzeit ist sie Geschäftsführerin von oecolution austria, der ersten Organisation in Österreich, die zeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand die besten Voraussetzungen für wirksamen Klimaschutz sind. 2024 erschien im ecowing-Verlag ihr erstes Buch „Im Namen des Klimas“. Seit 1. April 2025 ist Elisabeth Zehetner Staatssekretärin für Energie, Startups und Tourismus im Bundesministerium für Wirtschaft, Energie und Tourismus.
Foto: oecolution/Christandl