Nach pandemiebedingter Verschiebung um ein Jahr wird in Venedig wieder über Architektur reflektiert. Doch es ist eine andere Biennale als sonst, die den Besucher eindrucksvoll darauf hinweist, dass uns nur nachhaltige Denk- und Handlungsweise ein lebenswertes Zusammenleben ermöglicht.
Virtuelle Dominanz
Die Architekturbiennale die bis 21. November läuft, ist die erste kulturelle Großveranstaltung Italiens seit Ausbruch der Pandemie. Eine reduzierte Großschau, die dennoch 112 Teilnehmer aus 46 Ländern der Hauptausstellung und 61 Nationen veranlasste, sich mit der vom diesjährigen Kurator Hashim Sarkis gestellten Frage „How will we live together?“ auseinanderzusetzen.
Einige Länder wie China, Australien, Tschechien, Slowakei oder Canada verzichten gleich ganz auf die Teilnahme bzw. senden Ihre Botschaften ausschließlich virtuell. Auch vor Ort ist der QR-Code vorherrschend, um zu Informationen der einzelnen Projekte zu kommen.
Drastisches Beispiel ist der deutsche Pavillon der sich völlig leer zeigt und den Besucher nötigt, sich lange Videos am Handy anzusehen. Dazu bräuchte man nicht nach Venedig zu kommen was aber für jeden Fan dieser Lagunenstadt den Reiz des haptischen Erlebnisses ausmacht.
Kritische Reflexion statt Stararchitekten
Diese Architekturbiennale ist nicht nur wegen COVID-19 anders. Der sonst vorherrschenden Zelebrierung der Stararchitekten und ihren Prestigeprojekten ist eine kritische Auseinandersetzung mit Umwelt, Ressourcen, Menschenrechten und Bedürfnissen unterschiedlicher Kulturen gewichen und das macht diese Ausstellung spannend und den Besucher nachdenklich.
Willkommen bei Avatar
Doch zu Beginn wird der Besucher im Arsenale in die Zukunft entführt. Da funkelt es bunt und blitzend als Darstellung der Gehirnströme und der künftig optimalen Nutzung des menschlichen Gehirns mithilfe künstlicher Intelligenz.
Die totale Überwachung des Körpers durch Computer der stets dafür sorgt, die nötigen Vitamine und Essenzen dem Körper zuzuführen, um immer leistungsfit zu bleiben. In einer künstlich geschaffenen Landschaft eines Innsbrucker Büros für Architektur und transmediale Kunst überwacht ein Roboter jegliche Veränderung und meldet Daten zur Optimierung während im Projekt daneben fragil glitzernde Schirmchen, die aus dem Film Avatar stammen könnten, die Bewegungen und Emotionen der Besucher aufzeichnen und reflektieren.
Auch das Spital der Zukunft wird nicht mehr aus megagroßen Einheiten bestehen. Durch screening des Körpers von zu Hause mit dem Arzt, wird der Patient bei Bedarf in kleine medizinische Einheiten gebracht, die auf seine Diagnose spezialisiert sind. Einige Projekte machen uns deutlich, wie stark die Technik unser Leben mitbestimmen wird.
Lettland hat ein Haus aufgestellt, wo bei jedem Schritt am Boden auf den Wänden Lichter erstrahlen und mitwandern. Eine einfache aber prägende Darstellung, wie wir in unseren eigenen vier Wänden auf Schritt und Tritt kontrolliert werden können. Dazu paaren sich Ausstellungen von prothetischen Künstlichkeiten und in blubbernden Gefäßen reproduzierte Naturen die verstörend wirken. Wollen wir so oder mit sowas zusammenleben? Wem das noch nicht genug ist, wird auf den Mond geführt, wo ein Modell einer Mondsiedlung à la irdischer Reihenhaussiedlung das Leben auf diesem Gestirn dokumentiert.
Im Brennpunkt der Nachhaltigkeit
Vielleicht mag das mit Absicht sein, um den Besucher eindrücklich daran zu erinnern, brav und gewissenhaft mit der guten alten Mutter Erde umzugehen, damit es nicht zu solchen Szenarien kommt. Denn Nachhaltigkeit bildet eindeutig den Schwerpunkt dieser Biennale.
Die Botschaft ist klar: Wenn wir nicht aufhören die Umwelt weiter so zu belasten, die Ressourcen ungemindert verbrauchen und kein respektvolles Miteinander in einer Gemeinschaft unter Achtung von Menschenrechten und Minderheiten anstreben, wird ein lebenswertes und friedvolles Zusammenleben schwer möglich sein.
Beispielgebend sind wie so oft die Länder Nordeuropas. Dänemark hat seinen Pavillon in den Giardini gleich unter Wasser gesetzt. Monatelang wurde Regenwasser gesammelt, das durch den Pavillon wie in den Kanälen Venedigs fließt.
Dazu wird den Besuchern Tee serviert, gebraut aus den Kräutern die im Pavillon gedeihen und mit dem Regenwasser gegossen werden. Ein banales aber sehr einprägsames Statement für die immer größere Bedeutung von Wasser für unser Leben und die Wichtigkeit der Forcierung der Kreislaufwirtschaft. Gleich daneben zeigen Schweden, Norwegen und Finnland die Vorteile kollektiven Wohnens in aus Naturholz, ohne Kleber und Nägel erstellten Wohnräume.
Am Holzweg
Holz ist bei dieser Biennale generell der Hauptprotagonist wenn es um nachhaltige Ressourcennutzung und Baustoffe geht. Auch damit beschäftigen sich die Aussteller. Eindrucksvoll wird auch die Bedeutung von Glasfaser als wichtig werdender Baustoff inszeniert und die Vereinigten Arabischen Emirate präsentieren eine Baustofflösung, wo zur Bindung von Beton nicht Zement, sondern eine aus dem Meer gewonnenen Salzverbindung verwendet wird, die sonst nach dem Entsalzungsprozess wieder ins Meer zurückgeschüttet wird. Das hat eine stark überhöhte und umweltschädliche Salzkonzentration in Teilen des Persischen Golfes zur Folge.
Der mahnende Zeigefinger und Donnergrollen
Eindrucksvoll wird mit dem mahnenden Zeigefinger auf den Klimawandel und seine Auswirkungen auf unser Wohnen aufmerksam gemacht. Da spaziert der Besucher ahnungslos im Hauptpavillion in den Raum mit Modellen über das Leben in Grönland.
Dahinter ein riesiger Blechkasten der plötzlich ein donnerndes Geräusch von sich gibt, das den Besucher durch Mark und Bein fährt. Es ist jener Lärm, den ein durch die Klimaerwärmung ins Meer berstender Eisberg verursacht. In einem anderen Raum hängt ein Modell der Alpen an der Decke, wo Wassertropfen laut in leere Ölfässer fallen und mahnend auf die Gletscherschmelze und Wasser als das neue Öl verweisen.
Doch auch auf die bereits unumkehrbaren Folgen unserer Ausbeutung der Erde zur Gewinnung von Rohstoffen und Lebensräumen wird reflektiert. Da lassen uns Geruchsforscher mittels Biotechnologie den Geruch eines seit 1912 ausgestorbenen Baumes auf Hawaii wiedererleben. Im israelischen Pavillon öffnen sich abwechselnd die aus einer Pathologie bekannten Leichenladen. Zum Vorschein kommen Tiere, die vom Menschen aus ihrem natürlichen Lebensraum verdrängt bzw. ausgerottet wurden.
Digitale Energiefresser
Gedanken um seine Ressourcen macht sich auch Irland. Die nur alleine in der Hauptstadt Dublin befindlichen über 60 Serverfarmen und Zentren zur Datenverarbeitung verbrauchen ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs der Insel und sie zählt damit zu den Hotspots des Datenenergieverbrauchs weltweit.
Ein klarer Hinweis, dass beim Klimaschutz auch über die Zukunft von Kryptowährungen und den Plattformen Google, Facebook und Co gesprochen werden muss. Den Plattform-Urbanismus prangert auch der österreichische Beitrag in den Giardini an.
Das soziale Leben in den Städten wird zunehmend durch die Konzentration auf digitalen Plattformen, die damit viel Geld verdienen, beeinflusst und neu geformt. Die Kehrseite der vielgerühmten Digitalisierung, die gerade durch die Pandemie einen neuen Schwung bekommen hat.
Gemeinsam statt einsam
Großem Raum wird dem künftigen Zusammenleben in der Gemeinschaft gegeben. Da geht es um das Aufzeigen von Unterdrückung benachteiligter Gruppen, Rassismus und Inklusion. Sehr gelungen dazu der Beitrag der Niederlande, wo auch die Präsentation der Thematik durch semitransparente bunt gemusterte Raumtrenner die Besucher anspricht.
Wohnkonzepte, die demografische Entwicklungen und geänderte Lebensbedürfnisse der Menschen berücksichtigen, müssen gegenüber architektonischen Selbstinszenierungen und monetären Prestigeprojekten priorisiert werden. Auf das früher stärkere Gemeinschaftsgefühl und die Nachbarschaftshilfe, die gegenüber der Abkapselung und des Individualismus verloren gegangen ist, verweisen einige Beispiele wie zum Beispiel Albanien. Den fehlenden sozialen Gemeinschaftssinn zeigt auch Polen auf.
Alles ist auf Städte konzentriert, Dörfer und die ländlichen Gebiete werden vernachlässigt und die Menschen leben in Isolation. Dem gegenüber stehen Gedanken und die Antwort der Architektur auf eine schrumpfende Bevölkerung in größeren Städten. Rumänien und Estland präsentieren Konzepte, wo öffentliche Plätze vergrößert werden, um den Menschen mehr Raum zu geben. Gerade die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig öffentliche Plätze zum sozialen Austausch geworden sind.
Glaube und Hoffnung
Die Botschaften dieser außergewöhnlichen Architekturbiennale wurden verstanden und es gibt eigentlich keinen geeigneteren Ort über Nachhaltigkeit als Wegweiser unseres Zusammenlebens zu philosophieren als Venedig. Eine Stadt der selbst droht, durch den Klimawandel verschlungen zu werden und mit immer stärkeren Überflutungen kämpft.
Allein dem Autor erwächst Zweifel, ob diese Botschaften tatsächlich aufgenommen werden. Nach Verlassen der Giardini wurde fassungslos das erste monströse Kreuzfahrtschiff seit Ausbruch von Corona gesichtet und begleitet von lauten Protesten der Venezianer wieder durch die Guidecca und damit mitten durch Venedig gezogen. Siegt letztendlich doch wieder der schnöde Mammon über die Vernunft? Die Biennale zeigt uns deutlich, dass wir einen anderen Weg gehen sollten. Die Hoffnung lebt!
Bericht und Fotos Wolfgang Haas