Von der Schande Italiens zum UNESCO Weltkulturerbe

Von der Schande Italiens zum UNESCO Weltkulturerbe

Ein einziges Freilichtmuseum, eine Filmkulisse, wie man sie in Hollywood nicht bauen könnte, eine Stadt, die fasziniert und einzigartig ist. Das ist Matera in der süditalienischen Region Basilikata mit einer Geschichte die ihresgleichen sucht.

In wilder Verfolgungsjagd steuert James Bond seinen Jaguar XF durch die engen Gassen, er scheint gestellt, wird beschossen, bis ihm spektakulär die Flucht gelingt. Szenen aus dem letzten Bond-Film „Keine Zeit zu Sterben“, gedreht in Matera. Es wird nicht der letzte Film sein, der die beeindruckende Szenerie der „Sassi die Matera“ („Steine von Matera“) als Filmkulisse nutzt und es war auch nicht der erste.

Bereits 1953 drehte dort der Italiener Alberto Lattuada „Die Wölfin von Kalabrien“, Pasolini filmte 1964 in Matera die Szene der Geburt Christi in seinem Matthäusevangelium, Mel Gibson 2004 die Außenszenen seines Filmes „Die Passion Christi“, die Taviani Brüder „Nachtsonne“, „Das Omen“, die Neuverfilmung von „Ben Hur“, „Wonder Woman“ und viele Filme mehr sind zum Teil oder zur Gänze in der Sassi und Umgebung entstanden.  

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Besiedelt seit der Jungsteinzeit

Wer das erste Mal einen Blick auf die Altstadt „Sassi“ wirft, versteht die Anziehungskraft dieses Ortes für historische Filmszenen. Doch Matera hat weit mehr als Leinwandstars gesehen, mehr als die meisten Städte auf dieser Welt. Matera wurde am Rande einer steil abfallenden tiefen Schlucht erbaut und liegt ungefähr 50 Kilometer von Bari entfernt.

Die erste Besiedelung geht bereits auf die Jungsteinzeit zurück, somit zählt Matera zu den ältesten Städten der Welt. Im Laufe der Jahrhunderte ist eine der beeindruckendsten Orte Italiens entstanden, deren Altstadt einer einzigen gigantischen Skulptur gleicht. Die Sassi sind ein außergewöhnliches Beispiel von Höhlensiedlungen.

Der weiche Tuffstein ermöglichte die Schaffung der Höhlen, das ausgehobene Material wurde für Aufbauten verwendet. Im Laufe der Zeit entstand ein verzweigter Komplex von unterirdischen Räumen mit zum Teil ausgeklügelten Brunnen- und Bewässerungssystemen, die bis in die Bronzezeit zurückgehen und ein Gewirr an kleinen Gassen, Plätzen und Höhlen. Die Dächer wurden als Böden für die darüberliegenden Wohnungen genutzt.  

Höhlengemeinschaft mit Mensch und Tier

Matera ist der einzige Ort auf der Welt, in dem die Bewohner behaupten können, dass sie in den gleichen Häusern wohnen, in denen ihre Ahnen vor 9.000 Jahren lebten. Allerdings war es ein Leben unter extremen Bedingungen und erbärmlichen hygienischen Verhältnissen. Bis 1952 lebten ganze Familien in den Höhlen, ohne Strom und zum Teil auch ohne Wasser mitsamt ihren Nutztieren, für Ställe gab es keinen Platz. Das einzige Licht in die Wohnhöhlen kam oft nur durch die Eingangstüre. Den Geruchsfaktor, neben Esel, Schwein und Hühnern und ohne eigene Toilette zu hausen, mag man sich lieber gar nicht vorstellen.  

Kirchen in Höhlen und Felsen gebaut

Es entstanden auch zahlreiche Höhlen- und Felsenkirchen, deren bedeutendste und größte „San Pietro Barisano ist. Der Glockenturm der Kirche ist der einzige Hinweis, dass hier eine Kirche ist. Sie offenbart sich erst bei Betreten des Höhleneingangs. Spektakulär und nichts für schwache Nerven ist die darunter befindliche Krypta. In deren engen Höhlen wurden verstorbene Geistliche „zum Abtropfen“ in Nischen sitzend abgelegt und blieben in dieser Haltung bis sie vollständig verwest waren. Die Knochen wurden dann den Angehörigen übergeben. Eindrucksvoll ist auch die Felsenkirche Maria di Idris mit bemerkenswerten alten Fresken. 

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Die Schande Italiens

Es war ein literarisches Werk aus 1944, das 1979 auch unter dem gleichen Titel in Matera verfilmt wurde, dass für die Stadt eine einschneidende Wendung brachte. Im Buch "Christus kam nur bis Eboli" beschrieb Carlo Levi die hygienischen Zustände in Matera als katastrophal und zum Teil schlimmer als sie tatsächlich waren.

Als Palmiro Togliatti, Generalsekretär der Kommunisti­schen Partei, 1948 in die Stadt kam, war er entsetzt und nannte sie eine „nationale Schande“. Ganz Italien schämte sich für die Zustände, unter denen Menschen noch in diesem Land leben müssen. Auslöser für die Verschlechterung der hygienischen Zustände war die Zumauerung des Abwassersystems, das zu Malaria und Krankheiten durch Ungeziefer führte. Die italienische Regierung läutete ab 1952, wo noch ungefähr 15.000 Menschen in der Sassi lebten, Zwangsübersiedlungen der Bewohner in den modern errichteten neuen Stadtteil ein. Bis 1968 war die Umsiedlung abgeschlossen und die Grotten in der Altstadt verfielen. Obdachlose und die Drogenszene bewohnten Teile der Sassi. 

Die Auferstehung der Sassi

Erst Ende der 1980er Jahre erkannte man den unglaublichen historischen Wert der Sassi und begann mit Restaurierungsarbeiten und Tourismusprogrammen. 1993 stellte die UNESCO die Altstadt unter Denkmalschutz und erklärte sie zum Weltkulturerbe. 2019 war Matera Kulturhauptstadt Europas.  Heute steht der Großteil der Sassi im Eigentum der Stadt, die mit großzügigen Finanzierungsplänen neue Mieter anlockt.

Viele Höhlenwohnungen wurden auch zu schicken AirBnb‘s gestaltet, zahlreiche Hotels, Restaurants und Bars machen den Besuch für die Touristen angenehm und lassen sie nur noch in nachgestellten Originalwohnungen wie der „Casa Grotta“ erahnen, wie das Leben früher in den engen Gassen abgelaufen ist. Aber die Faszination und Einzigartigkeit dieser Stadt ist geblieben und zieht jeden Besucher in seinen Bann. Matera gehört zweifellos zu den „must see“-Städten in Europa.

Fotos: WH

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