Die vergessene Frau in der Kunstgeschichte

Die vergessene Frau in der Kunstgeschichte

Das Kunsthistorische Museum in Wien widmet der flämischen Barockmalerin Michaelina Wautier (um 1614–1689) die bisher umfassendste Ausstellung. Sie zählt zu den bedeutendsten Wiederentdeckungen der jüngeren Kunstgeschichte. Als Nachfolgerin von Rubens und Van Dyck wird sie für ihre brillante Pinselführung, ihre thematische Vielfalt und ihr außergewöhnliches Selbstbewusstsein gefeiert – besonders für die Darstellung männlicher Körper, die Malerinnen ihrer Zeit in der Regel verwehrt blieb.

„Michaelina Wautier ist eine der großen Wiederentdeckungen. Unser Haus zeigt, was über Jahrhunderte übersehen oder fälschlich zugeschrieben wurde“, so Jonathan Fine, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums. Erstmals werden in Wien nahezu alle erhaltenen Werke der Künstlerin präsentiert, darunter zahlreiche Gemälde, die bisher noch nie öffentlich zu sehen waren.

Ein Sonderfall der Kunstgeschichte
Wautier war eine Ausnahmekünstlerin des 17. Jahrhunderts, deren Werk lange vergessen oder männlichen Kollegen zugeschrieben wurde. Während andere Künstlerinnen auf Stillleben und Genremalerei beschränkt waren, behauptete sie sich auch in der anspruchsvollen Historienmalerei. Ihr monumentaler Triumph des Bacchus galt bis in die 1960er Jahre als Werk eines Rubens-Schülers oder gar Luca Giordanos – zu monumental, zu kraftvoll, zu viele nackte Männer, um von einer Frau zu stammen, so die damalige Meinung. Heute gilt das Gemälde als Ikone und Herzstück der Wiener Gemäldegalerie. Auch ihre Porträts, Altäre und Allegorien sprengen gängige Erwartungen und belegen Originalität, feinsinnigen Humor und künstlerischen Mut.

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Kunstgeschichte als Spurensuche
Über Wautiers Leben ist nur wenig bekannt. Wahrscheinlich stammte sie aus einer gebildeten, finanziell unabhängigen Familie in Mons. Trotz politischer Umbrüche und fehlender formaler Ausbildung fand sie Zugang zu den intellektuellen Kreisen am habsburgischen Hof in Brüssel, wo sie mit ihrem Bruder Charles eine Werkstatt teilte. Möglicherweise entschied sie sich bewusst gegen eine Ehe – zugunsten der Kunst. „Wir haben kaum Daten oder Briefe, doch ihre Bilder genügen, um ihre Stärke sichtbar zu machen“, betont Kuratorin Gerlinde Gruber.

Obwohl Erzherzog Leopold Wilhelm ihre Werke sammelte, fehlen zeitgenössische Kommentare. Briefe oder Dokumente existieren nicht; was wir über sie wissen, überliefern ihre Gemälde und Signaturen. Auffällig ist, dass sie mit vollem Namen signierte – in lateinischer Form: Michaelina Wautier. Zwei Werke tragen sogar die seltene Signatur invenit et fecit(„erdacht und ausgeführt“) – ein selbstbewusster Widerspruch gegen das Vorurteil, Frauen fehle es an schöpferischer Kraft.

Größte Werkschau in Wien
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Royal Academy of Arts in London und macht Wautiers künstlerische Meisterschaft erfahrbar. Das Kunsthistorische Museum zeigt 29 Gemälde, eine signierte Zeichnung und eine Druckgrafik nach einem verlorenen Werk – die bislang umfangreichste Präsentation. Ergänzt wird die Schau durch rund 80 weitere Werke und Objekte, die ihre Kunst in den Kontext der Antike, Rubens, Van Dyck und anderer Zeitgenossen stellen.

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Dank der Sammelleidenschaft Erzherzog Leopold Wilhelms besitzt das Museum den weltweit größten Bestand an Wautiers Gemälden, darunter Triumph des BacchusHl. Joachim lesendHl. Joseph und Hl. Joachim. Begleitet werden sie von Leihgaben internationaler Museen und Privatsammlungen. Zu den Höhepunkten zählen die Serie Die fünf Sinne(Van Otterloo Collection), ihr Selbstporträt, die Blumengirlande mit Schmetterling (Het Noordbrabants Museum), Zwei Mädchen als hl. Agnes und hl. Dorothea (KMSKA Antwerpen), Jungen beim Seifenblasen (Seattle Art Museum), Die Erziehung Mariens (Privatsammlung, Hoogsteder Museum Foundation) sowie das Porträt des Martino Martini (The Klesch Collection).

Bedeutende Leihgaben stammen zudem aus der Österreichischen Nationalbibliothek, der Universitätsbibliothek Wien, The Phoebus Foundation, den Königlichen Kunstmuseen Belgiens, dem Royal Collection Trust London, dem Rijksmuseum Amsterdam und von privaten Sammlern. Nach Wien wird die Ausstellung ab 27. März 2026 in adaptierter Form in der Royal Academy of Arts in London gezeigt.

Kuratiert wurde die Schau von Gerlinde Gruber, Kunsthistorisches Museum Wien, die Gestaltung übernahm Viola Stifter.

Foto: KHM-Museumsverband