Realität und utopische Visionen: Lena Rosa Händle

Realität und utopische Visionen: Lena Rosa Händle

Die in Berlin geborene Künstlerin Lena Rosa Händle lebt und arbeitet in Wien, wo sie als bildende Künstlerin und Lehrende tätig ist. In ihren Werken verbindet sie soziale Realitäten mit utopischen Visionen und reflektiert dabei historische, ökologische und gesellschaftliche Zusammenhänge. International ausgezeichnet mit Stipendien und Förderungen, zeigt sie ihre Arbeiten in Ausstellungen weltweit.

Für die Ausstellung "WAS ZWISCHEN UNS WÄCHST" schuf Händle die Collagen-Serie "Verbundene Welten", in der sie Pilze, Flechten, Algen und Mikroorganismen als poetische Vorbilder für eine solidarische Zukunft interpretiert. Diese natürlichen Symbiosen, so die Künstlerin, beweisen: Leben basiert nicht auf Konkurrenz, sondern auf gegenseitiger Hilfe – ein Prinzip, das auch für menschliches Zusammenleben richtungsweisend sein könnte.

Austrian Business Woman hat mir der Künstlerin gesprochen. 

Sie sprechen in Ihrer Arbeit von „utopischen Momenten“. Was kann Kunst heute noch utopisch erzählen in einer Welt voller Krisen?

Es kommt immer auf die Perspektive an. Ich habe mich bei diesem Projekt dazu entschieden mich mit Lebewesen, die in Symbiose oder allgemein sympoietisch leben, zu beschäftigen - auch Menschen sind hier eingeschlossen. Sympoiesis, bedeutet „Mit-machen“ oder „gemeinsames Erschaffen“ und beschreibt, dass kein Organismus isoliert existiert, sondern immer von einer Vielzahl von Bedingungen und anderen Lebewesen abhängig ist. Es ist wichtig, dass wir uns als Teil gleichwertiger Lebensformen begreifen, damit ein Leben für alle weiter möglich ist. 

Ihre Serie „Symposiesis“ zeigt Pilze und Mikroorganismen als Symbole für Kooperation. Was fasziniert Sie an diesen stillen Netzwerken des Lebens? 

Die Lebensräume Wald und Meer faszinieren mich durch ihre riesige Artenvielfalt und unglaublichen Ökosysteme. Gerade Pilze bilden große Netzwerke von Beziehungen und sind mit Bäumen, Bakterien, Tieren und Pflanzen verbunden. Das zeigt uns, dass Verbindungen und Kooperationen zwischen Lebewesen überlebensnotwendig sind.

In Wissenschaft und Forschung ist die enorme, noch weitgehend unerschlossene Artenvielfalt der Pilze Gegenstand für beispielsweise die Entwicklung neuer Wirkstoffe in der Medizin, für nachhaltige Materialien und innovative Lebensmittel. 

Feminismus und Ökologie werden in Ihrer Kunst als untrennbar gezeigt. Wo begegnen sich für Sie Körper und Natur?

Ich lehne binäre Geschlechterrollen und traditionelle Vorstellungen wie Natur/Kultur, Mensch/Tier, Mann/Frau ab und zelebriere eine queere Vorstellung von artenübergreifender Vielfalt, die von Fluidität und Verbundenheit geprägt ist. 

Die Gewalt und Abwertung der Natur und die Diskriminierung von Frauen* und unterdrückten Gruppierungen ist in unserer Gesellschaft miteinander verbunden und verstärkt sich gegenseitig. Frauen sowie marginalisierte Gruppen sind besonders von den Folgen der Umweltzerstörung betroffen z.B. als Mütter und als Klein- und Subsistenzbäuerinnen im Süden. 

Ihre Collagen wirken zart und politisch zugleich. Wie finden Sie die Balance zwischen Poesie und Haltung? 

Bücher wie Donna Haraways Unruhig Bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän oder Robin Wall Kimmerers Geflochtenes Süßgras haben meine Vorstellung von einer sympoietischen, miteinander verflochtenen Welt geprägt und damit auch meine politische Haltung geformt. Das drückt sich in meinem künstlerischen Prozess aus. Indem ich Fiktion zulasse und gleichzeitig verschiedene Abbildungen von Lebewesen betrachte, entstehen poetische, zarte Figuren.

Der Gedanke der Symbiose zieht sich durch diese Arbeit. Ist er für Sie eher naturwissenschaftliche Erkenntnis oder gesellschaftliches Ideal? 

Beides. Als ich begann mich zunächst naturwissenschaftlich auseinanderzusetzen, war ich begeistert und fasziniert davon, dass sehr viele Lebewesen in mutualistischen Symbiosen leben und sich gegenseitig benötigen, helfen und unterstützen. Der Gedanke, dass hier Vorbilder für unsere Gesellschaft gefunden werden können, kam mir sofort. 

Das Konzept Sympoiesis, welches von Donna Haraway weiterentwickelt wurde, beschreibt die Grundlage für die Existenz aller Systeme. Durch Kooperationen verschiedener voneinander abhängigen Wesen werden neue Realitäten geschaffen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle Lebewesen sind, die voneinander abhängen und sich gegenseitig benötigen, sind Sorgearbeit und solidarisches Handeln die Basis jeder Gesellschaft. Darüber hinaus brauchen wir eine gerechte Wirtschaftsordnung, umweltverträgliche Formen des Wirtschaftens sowie eine radikale Veränderung unseres Konsumverhaltens und Lebensstils.

In „Was zwischen uns wächst“ geht es auch um Fürsorge. Welche Bedeutung hat Care in Ihrem künstlerischen Denken?

Fürsorge nimmt in einigen meiner Projekte eine zentrale Rolle ein und ist ein wichtiger Teil (nicht nur) von meinem künstlerischen Denken.  Sorge tragen, Gegenseitigkeit, Achtsamkeit, Verbundenheit sind Werte, die in meiner Kunst wichtig sind. 

Ohne Beziehungen und Care Arbeit könnten wir nicht existieren. Durch meine Mutterschaft habe ich neben dem Sorgetragen und der sozialen Verantwortung für einen anderen Menschen noch sehr viel mehr gelernt. Gerade als Künstler*in finde ich es wichtig, mich nicht nur um mich selbst zu drehen, deshalb ist Mutterschaft eine wichtige Zusatzqualifikation. Leider wird diese wertvolle und lebensnotwendige Arbeit gesellschaftlich abgewertet und nicht entlohnt. 

Sie lehren und schaffen zugleich. Wie beeinflusst der Dialog mit Studierenden Ihre eigene Arbeit? 

Ich empfinde den Dialog und sozialen Austausch mit Studierenden als sehr wertvoll und produktiv. Hier schätze ich besonders intergenerationale Dialoge, sowie die Möglichkeit mich mit Menschen verschiedener Hintergründe auszutauschen und unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen zu diskutieren. Das fließt auch in mein künstlerisches Denken und somit in meine Arbeiten ein.

In meinem aktuellen sozialen Kunstprojekt gemeinsam mit Barbara Mahlknecht arbeiten wir mit einer Schulklasse kreativ daran, Zugänge zur Natur zu finden und erschaffen einen urbanen, ökosozialen Garten der Fürsorge. Hier ist das „Werk“ gleichzeitig der Prozess und die kreative, soziale und ökologische Arbeit.

Viele Ihrer Werke sind von Zärtlichkeit geprägt. Ist Zärtlichkeit für Sie eine Form des Widerstands?

Ja, Zärtlichkeit ist für mich mit Fürsorge für andere verbunden. Der Titel einer meiner Arbeiten heißt: Fürsorge ist revolutionär. Hier gebe ich Care Workerinnen im urbanen und ländlichen Raum in Spanien eine Stimme. 

In unserer momentanen Zeit geht es sehr viel um Individualisierung, wir brauchen jedoch einen kulturellen Wandel und mehr Gemeinschaft. Gemeinschaftliche Organisation ermöglicht Widerstand gegen Individualisierung und Kapitalismus. 

Die Wiener Kunstszene gilt als offen, aber auch kritisch. Wie erleben Sie hier die Resonanz auf queer-feministische Positionen? 

Meistens positiv. Als ich vor 13 Jahren nach Wien kam, war ich begeistert von den vielen queer- feministischen Künstler*innen in Wien und an der Akademie der bildenden Künste, an der ich dann gearbeitet habe. Insgesamt sind queer -feministische und lesbische Positionen noch immer unterrepräsentiert, es hat sich jedoch schon etwas getan. Momentan wird eine Arbeit von mir in der Ausstellung: EveryBody! Was Körper erzählen. Fotografie und Medienkunst von 1945 bis heute, im Rupertinum, Museum der Moderne in Salzburg gezeigt. 

Welche Art von Verbundenheit wünschen Sie sich zwischen Menschen, zwischen Arten, zwischen Welten?

Eine gemeinschaftliche Verbundenheit, die auf Gleichberechtigung, Gegenseitigkeit, geteiltem Wissen, solidarischem Handeln sowie Fürsorge und Verantwortung füreinander basiert. Ich wünsche mir eine queere, artenübergreifende, inklusive, ökologische, Gemeinschaft, die alle Lebewesen als gleichberechtigten Teil eines Ganzen sieht.  

Foto: NS-Dokumentationszentrum München/Foto: Orla Connolly

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