Zum zweiten Mal veranstaltete der FMVÖ die „Lange Nacht der Banken“. Wie FMVÖ-Vorstandsmitglied Wolfgang Ronzal, der für die Konzipierung der Veranstaltung verantwortlich zeichnet, bei seiner Eröffnung betonte, sei es dem Verband ein Anliegen gewesen, aus unterschiedlichen Perspektiven ein möglichst breites Bild der vielfältigen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die österreichischen Banken zu zeichnen und praxisnahe Impulse für die Zukunft zu geben.
Die Zukunft der Arbeit nach Covid
Den Auftakt machte Bernd Marin (Director European Buereau für Policy Consulting and Social Research). Er verwies auf das viel diskutierte Buch zum Pandemie-(Miss-)Management „Die Welt danach. Leben, Arbeit und Wohlfahrt nach dem Corona-Camp“ (2021). Seuchen verändern wie sonst nur Kriege und Umwelt-, Klima-, Nuklear- und andere Katastrophen Gesellschaften in geradezu revolutionären Zeitsprüngen, sodass Entwicklungsschübe und Umbrüche in wenigen Monaten oder gar Wochen möglich sind, die über ein halbes Jahrhundert gestockt hatten. Die Covid-19-Pandemie hat viele lange zurückgestaute Umwälzungen losgetreten und Bernd Marin zeigte die Eigendynamik dieser Zeitenwenden am Beispiel der Zukunft der Arbeit.
Nirgends sonst hat sich die Welt von vorgestern seit 2020 gleichsam über Nacht in ein zukunftstauglicheres Heute mit geradezu utopischen Perspektiven für Morgen gewandelt – auf der Grundlage Jahrzehnte vorlaufender stiller technologischer Innovationen und sozialer Evolutionen. Plötzlich sind zuvor „unvorstellbare“ und daher seltenste Praktiken zu Alltagsroutinen geworden: von massenhafter digitaler Heimarbeit oder Telearbeit (das auf einmal modische „Home-Office“) und explodierenden Video-Konferenzen statt Geschäftsreisen über Vertrauensgleitzeit ohne Stechuhren bis zum „neuen Normalarbeitsmodell ortsunabhängigen mobilen Arbeitens“ in Europas größtem und mit 175 Jahren auch ältesten Industriekonzern. Hier durften bereits ab 16. Juli 2020, nur wenige Wochen nach der ersten Quarantäne, über 140.000 der 240.000 Mitarbeiter:innen an mehr als 125 Standorten in 43 Ländern von der „neuen Normalität“ in der Arbeitswelt profitieren.
Und im Gegensatz zur rigiden Return-to-Office (RTO) Präferenz US-amerikanischer Unternehmen von Tesla bis Goldman Sachs halten europäische Betriebe, Unternehmensberatungen und Sozialpartner an neuen Arbeitszeit-Modellen auch 2022 fest. Das rückt Potenziale eines utopischen historischen Kompromisses von Freizeitgesellschaft in einer Rund-um-die-Uhr-Dienstleistungs- und Hochleistungswirtschaft bis etwa 2035 in greifbare Nähe. „In ihr werden 4-Tage-Woche, Entkoppelung längerer Betriebs- von kürzeren Arbeitszeiten, Mehrfachbesetzungs- und innovative Schichtsysteme mit Teilzeit- und Wechselschichten, Turnusdiensten, Wahlarbeitsort & Zeitmodellen, Familien-Auszeiten, Lebensarbeits-Zeitkonten, Telearbeit, Desk-Sharing und viele andere Modelle zukunftsweisender Arbeitszeitgestaltung zum New-Work-Normal der Post-Quarantimes – der Welt nach den Corona-Camps 2020 bis 2022“, so die Conclusio von Marin.
Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation
Petra Postl (Bereichsleiterin Digitalisierung, Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien AG) betonte in ihrem Impulsvortrag: „Für eine gelungene digitale Transformation gibt es eine Reihe von Erfolgsfaktoren, entscheidend ist aber vor allem der ‚WOW-Moment‘. Denn nur wer User:innen mit smarten, digitalen Lösungen immer wieder aufs Neue begeistert, wird langfristig erfolgreich sein.“ Ebenfalls auf die Digitalisierung ging Fabian Stenzel (Head of Retail Sales & Distribution, Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG) in seinem Kurzvortrag „Digitalisierung versus persönliche Beratung?“ ein. Sein Fazit: „Zwischen Digitalisierung, verändertem Kundenverhalten und Margendruck muss es uns gelingen, Win-win-Situationen zwischen dem Kundenerlebnis und den Geschäftsinteressen zu gestalten. Dies ist durch konstante Weiterentwicklung unseres Geschäftsmodells unter Hinzunahme neuer Technologien möglich.“
Zum Abschluss des ersten Teils sprach Charlotte Hager (comrecon brand navigation) über „Der Wert der Marke in Krisen – Marken schaffen Orientierung“. Sie betonte, dass sich der Wert der Marke darin zeigt, wie sie selbst Wert schafft. Dazu ist es wichtig, Kund:innen zu verstehen, denn Markenverständnis bedeutet Kundenverständnis: „Gerade in Krisenzeiten sehen wir, dass sich Kundenbedürfnisse ändern – Geschäftsmodelle sollten nicht ohne die Kund:innen gemacht werden. So investiert die Marke ins Beziehungskapital – durch Verhalten, Haltung, Wertschätzung, Zuversicht und Transparenz.“
Geschäfts- und Arbeitsmodelle auf dem Prüfstand
Den Beginn des zweiten Teils der „Langen Nacht der Banken“ machte Martin Janzen (Managing Partner, Ntsal Strategieberatung) mit seinem Vortrag „Strategie und Geschäftsmodelle im aktuellen Krisenkontext“. Er hob hervor, dass die veränderten Marktbedingungen – insbesondere gestiegene Verbraucher- und Erzeugerpreise – eine Evaluierung und Anpassung des Geschäftsmodells für Banken unumgänglich machen. „Erfolgreiche Strategieentwicklung der Zukunft braucht einen agilen Ansatz und Kontinuität gepaart mit Erfahrung. Mit einer einfachen jährlichen Budgetplanung kommen Banken in der Zukunft nicht mehr weit“, mahnte Janzen. Jürgen Leitner (Partner, EFS Consulting) sprach über „Führen und Befähigen von Mitarbeiter:innen“. Laut seiner Kernthese, die er anhand von Fakten untermauerte, entscheiden sich Personen für ein Unternehmen und kündigen aufgrund ihrer Vorgesetzten. Die rationale Leistungsgesellschaft des Industriezeitalters hat ausgedient – mit der Corona-Krise als Beschleuniger setzen sich New-Work-Modelle nun rasant durch. Gleichzeitig werden auch Unternehmenskulturen agiler und adaptiver, Mitarbeitende sehen sich stärker als Problemlöser für gesellschaftliche Zukunftsaufgaben. „Um Mitarbeiter:innen nachhaltig zu begeistern, benötigt es einen ganzheitlichen und stimmigen Ansatz, der die Anforderungen der Arbeit hinsichtlich Menschen und Verhalten, Arbeitsmittel und Digitalisierung sowie Arbeitsorte und Ausstattung in Einklang bringt“, so das Fazit von Jürgen Leitner.
Die besondere Situation der Banken bedingt durch die Covid-19-Pandemie beleuchtete Alexander Stegbauer (Bereichsleiter Privat- und Geschäftskunden, Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien AG) in seinem Einblick in die Praxis „Von einer Herausforderung zur nächsten. Was ist gekommen um zu bleiben?“: „Die ständige Veränderung ist die einzige Konstante im Bankwesen. Banken müssen deshalb ihr Geschäftsmodell flexibel entlang der Kundenbedürfnisse ausrichten – mit dem Ziel in allen relevanten Bedarfsfeldern verlässliche Partner:innen zu sein. Nur wer nachhaltig auf stabile Geschäftsmodelle und auf unterschiedliche Säulen setzt, ist auch in Krisenzeiten als Ansprechpartner:in für Kund:innen erfolgreich.“
Digitalisierung als Chance für die Zukunft
Im letzten Kurzvortrag des Abends gab FMVÖ-Vorstandsmitglied Werner Schediwy den Zuhörer:innen unter dem Titel „Multikrisen als Herausforderung für Finanzmarken – ein paar Gute Nacht-Gedanken“ einen positiven Ausblick mit. So sieht er trotz aller Herausforderungen und Krisen die Digitalisierung auf Kunden- wie auch auf Unternehmensseite als beständigen Faktor bei Banken. Zeitgleich mit der Digitalisierung von Produkten und Prozessen nimmt laut einer FMVÖ-Expertenbefragung die Bedeutung der Marke und die Kundenzentrierung aller Maßnahmen in überdurchschnittlichem Ausmaß wieder zu: „Die laufenden Veränderungen in der Gesellschaft haben auch Auswirkungen auf die Ausrichtung der Marketingmaßnahmen in Banken. Letztendlich werden uns alle Data Driven- und Digitalisierungs-Entwicklungen helfen, die „Net-Client-facing-Time“ signifikant zu erhöhen. Denn am Ende sind wir soziale Lebewesen, die Wertschätzung suchen und sich von Vertrauen leiten lassen“, so Schediwy abschließend.
Foto: Christoph Kerschbaum/FMVÖ